2.1 Beitragssatzstabilität und ihre Grenzen

 

Rz. 10

Der Halbsatz "es sei denn, dass die notwendige medizinische Versorgung auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten ist" in Abs. 1 Satz 1 setzt dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität allerdings Grenzen. Die Finanzierung der notwendigen medizinischen Versorgung geht immer vor, könnte also auch, wenn sie objektiv nicht mehr gewährleistet wäre, Erhöhungen bei den Zusatzbeiträgen der Mitglieder aller oder einzelner Krankenkassen nach sich ziehen. Welche Maßstäbe und konkreten Anforderungen an diese Ausnahmeregelung zu stellen sind, regelt das Gesetz nicht in allgemeiner Form.

Nach der BSG-Rechtsprechung (vgl. Urteil v. 23.6.2016, a. a. O.) ist in diesem Zusammenhang der Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit entwickelt worden, der in der 1. Stufe die Abschätzung der voraussichtlichen Kosten der vom einzelnen Leistungserbringer erbrachten Leistungen anhand einer plausiblen und nachvollziehbaren Darlegung (Prognose) erfordert. Daran schließt sich als 2. Stufe die Prüfung der Leistungsgerechtigkeit an, für die die Kostenansätze vergleichbarer Leistungen anderer Leistungserbringer maßgebend sind. Die Vergütung muss auf einem marktorientierten Versorgungskonzept beruhen, was bedeutet, dass Vergütungen leistungsgerecht sind und einem Leistungserbringer bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen müssen, seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Am nachstehenden Beispiel der Veränderung der Vergütung der häuslichen Krankenpflege in einem Einzelvertrag oder in einem Kollektivvertrag soll deutlich werden, welche Aspekte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung beim Ausnahmetatbestand nach Abs. 1 Satz 1 HS 2 der Vorschrift zu berücksichtigen sind.

Die vorgenannten Vergütungsgrundsätze hat das BSG auf die Vergütung der Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 in den Fällen übertragen, in denen Einzelverträge nach § 132a geschlossen worden sind (vgl. BSG, Urteil v. 25.11.2010, B 3 KR 1/10 R).

Bei Kollektivverträgen bzw. Rahmenverträgen auf Verbandsebene der ambulanten Pflegedienste können diese Maßstäbe nach Auffassung des BSG jedoch nicht unmittelbar übernommen werden, weil nicht auf die Gestehungskosten eines einzelnen Pflegedienstes abgestellt werden kann, sondern es eines generellen, vom einzelnen Pflegedienst losgelösten Maßstabs bedarf. Auch Kollektivverträge müssen sicherstellen, dass die den Verbänden angeschlossenen oder hinzutretenden ambulanten Pflegedienste bei wirtschaftlicher Betriebsführung ihrem Versorgungsauftrag nachkommen können, d. h. die Vergütung der häuslichen Krankenpflege muss die Leistungsfähigkeit der Pflegedienste bei wirtschaftlicher Betriebsführung gewährleisten. Eine die maßgebliche Veränderungsrate nach Abs. 3 übersteigende Erhöhung der Vergütung ist daher nicht ausgeschlossen, wenn die Betriebs- und Kostenstruktur durchschnittlicher Pflegedienste eine höhere Vergütung erfordert. Wird festgestellt, dass nur mit einem bestimmten Vergütungsniveau die Leistungsfähigkeit der ambulanten Pflegedienste bei wirtschaftlicher Betriebsführung zu gewährleisten ist, liegt der Ausnahmetatbestand des Abs. 1 HS 2 vor, weil die notwendige krankenpflegerische Versorgung dann auch unter Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven anders nicht sicherzustellen ist. Dieser Ausnahmetatbestand liegt nicht erst dann vor, wenn es zu einer nennenswerten Anzahl von Insolvenzen gekommen ist. Ein funktionierendes Versorgungssystem setzt vielmehr voraus, dass ausreichende Anreize gesetzt werden, Leistungen überhaupt zu erbringen. Ein solcher Anreiz fehlt aber, wenn eine wirtschaftliche Leistungserbringung nicht mehr möglich ist, weil dann auch die notwendige krankenpflegerische Versorgung nicht mehr sichergestellt ist. Hinsichtlich der Preisgestaltung bei Kollektivverträgen hat das BSG deshalb nicht auf die Gestehungskosten eines einzelnen Pflegedienstes abgestellt, sondern einen generellen, vom einzelnen Pflegedienst losgelösten Maßstab zugrunde gelegt. Auf der Grundlage der Vergütungsbemessungen bei Kollektivverträgen ist eine repräsentative Anzahl der den Verbänden zugehörigen privatgewerblichen Pflegediensten im Vertragsbereich auszuwählen, die für die Ermittlung einer nachvollziehbaren und plausiblen Kostenstruktur dieser Pflegedienste zugrunde zu legen ist. Hierbei sind nicht nur die regionalen Unterschiede zu berücksichtigten, sondern es ist auch die Vielfalt der privat gewerblichen Pflegedienste im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Versorgungs- und Einsatzbereiche, Betriebsgrößen und Personalstrukturen zu beachten. Entscheidend ist, dass die getroffene Auswahl der Pflegedienste ein möglichst repräsentatives Bild ergibt, damit die Vergütung auf der Basis einer realitätsnahen durchschnittlichen Betriebs- und Kostenstruktur der Pflegedienst in anonymisierter Form vereinbart werden kann. Nur eine repräsentative Anzahl von Pflegediensten trägt auch dem Umstand Rechnung, dass dem Kollektivvertrag noch zu einem späteren Zeitpunkt Pflegedienste beitreten, aber auch aus ih...

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