Rz. 1

§ 4 Nr. 19 UStG beruht auf sozialpolitischen Erwägungen. Zweck der Vorschrift ist es, blinde Menschen und Blindenwerkstätten wirtschaftlich zu fördern. Die Steuerbefreiung ist historisch begründet. Letztlich geht sie auf eine Entschließung des Reichstags von 1922 zurück und hat rein soziale Zwecke. Die durch Blindheit verursachte wirtschaftliche Benachteiligung blinder Unternehmer soll ausgeglichen und den beschränkten Erwerbsmöglichkeiten der Blinden Rechnung getragen werden. Unionsrechtlich beruht die Steuerbefreiung auf der Übergangsregelung in Art. 371 i. V. m. Anh. X Teil B Nr. 5 der MwStSystRL. Von einer Änderung wurde insbesondere aufgrund des geringen Anwendungsbereichs bislang abgesehen. Der Anwendungsbereich der Steuerbefreiung ist insbesondere auch deshalb ausgesprochen gering, weil die Tatbestandsmerkmale sehr eng gefasst sind. So muss es sich nach § 4 Nr. 19 Buchst. a UStG zunächst um blinde Unternehmer handeln. Diese dürfen in ihrem Unternehmen nicht mehr als zwei Arbeitnehmer i. S. d. Vorschrift beschäftigen; beschäftigen sie drei oder mehr Arbeitnehmer i. S. d. Vorschrift, greift die Steuerbefreiung nicht ein.

 

Rz. 2

Obwohl die Befreiungsvorschrift insbesondere an persönliche Merkmale (die Blindheit) anknüpft, ist eine mögliche Verletzung des Gleichheitssatzes nicht verfassungsrechtlich nachprüfbar. Im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG kann nicht bestimmt werden, welche blinden Unternehmer einen sachlich nicht mehr gerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber einem nicht blinden Unternehmer der gleichen Branche haben. Blinde sind im Wirtschaftsleben infolge ihres körperlichen Gebrechens benachteiligt. Der Gesetzgeber darf dies durch fürsorgliche Maßnahmen, u. a. durch Steuerbefreiungen, ausgleichen.[1]

 

Rz. 3

Früher waren die Umsätze der blinden Unternehmer, die nicht mehr als zwei Arbeitnehmer beschäftigten, generell von der USt befreit. Dieses Privileg wurde insbesondere von Mineralölunternehmen ausgenutzt, die ihre Tankstellennetze und Lagereinrichtungen an blinde Unternehmer verpachteten. Die Blinden bezogen als Inhaber von Steuerlagern die Kraftstoffe ohne Mineralölsteuerbelastung und dementsprechend niedriger Vorsteuer und verkauften sie steuerfrei an die Endabnehmer. Die Steuerbefreiung war daher bis zu ihrem Ausschluss bei Lieferungen von Mineralölen und Branntweinen, wenn der Blinde für diese Erzeugnisse Mineralölsteuer oder Branntweinabgaben zu entrichten hat[2], wettbewerbspolitisch problematisch geworden. Es kam vor, dass blinde Menschen den Handel mit Kraftstoffen über von Mineralölgesellschaften gepachtete Tankstellen betrieben und über Agenturverträge Tankstellenverwalter einsetzten. Wenn die Blinden in diesen Fällen ein von den Zollbehörden bewilligtes Mineralölsteuerlager führten, konnten sie die Kraftstoffe ohne Steuerbelastung beziehen und umsatzsteuerfrei veräußern. Der BFH hatte den zur Vermeidung derartiger Wettbewerbsvorteile gegenüber nichtblinden Tankstellenbetreibern ergangenen BMF-Erlass v. 5.2.1969[3] bzw. § 1a der Verordnung zur Änderung der Dritten Verordnung zur Durchführung des UStG (Mehrwertsteuer) v. 6.7.1970[4] als nicht rechtmäßig angesehen.[5]

 

Rz. 4

Ungeachtet der Rechtsprechung des BFH, dass die Vorschrift einer verfassungsmäßigen Prüfung nicht zugänglich ist, stellt sie einen besonderen Fremdkörper im Umsatzsteuerrecht dar. Steuerbefreiungen, die mit einer Versagung des Vorsteuerabzugs verbunden sind, können sich ohnehin bereits den Wettbewerb störend zulasten oder zugunsten des befreiten Unternehmers auswirken. Gilt die Steuerbefreiung für Umsätze eines Unternehmers, der nicht an Endverbraucher leistet, ergeben sich für diesen Nachteile. Die nicht abzugsfähigen Vorsteuern sind bei ihm zusätzliche Kosten. Die Besteuerung wird beim Leistungsempfänger nachgeholt. Auf der anderen Seite ergeben sich Vorteile, wenn die Steuerbefreiung einem Unternehmer zugestanden wird, der an Endverbraucher leistet. Der Vorteil steigt mit der Wertschöpfung und kann im günstigsten Fall dem ersparten Steuerbetrag entsprechen. Werden bestimmte Leistungen auf allen Unternehmensstufen steuerfrei gestellt, wird der Vorteil des befreiten Unternehmers regelmäßig nicht als wettbewerbsstörend empfunden, weil alle unmittelbaren Wettbewerber in die Begünstigung eingeschlossen sind. Die Wettbewerbsneutralität wird aber dann gestört, wenn die Steuerbefreiung auf der letzten Stufe – wie in § 4 Nr. 19 UStG – an persönliche Merkmale des Unternehmers geknüpft ist. Die Wettbewerber, die gleichartige Leistungen steuerpflichtig anbieten (müssen), werden beeinträchtigt.

[2] Entsprechende Änderung mWv 1.7.1973 durch StÄndG 1973 v. 26.6.1973, BGBl I 1973, 676.
[3] BMF v. 5.2.1969, IV A/2 – S 7176 – 18/68, UStR 1969, 78.
[4] BGBl I 1970, 1022, BStBl I 1970, 817.

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