9.1 Allgemeiner Steuersatz

 

Rz. 107

Der allgemeine Steuersatz[1] ist mWv 1.1.1993 bereits durch Art. 12 Nr. 4 des Steueränderungsgesetzes 1992 v. 25.2.1992 von 14 auf 15 % angehoben worden (Rz. 23). Damit ist die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung aus Art. 12 Abs. 3 Buchst. a erster Unterabsatz der 6. EG-Richtlinie (Anwendung eines Mindeststeuersatzes beim Normalsatz von 15 %) noch vor der Verabschiedung der Steuersatz-Richtlinie v. 19.10.1992 (Rz. 91ff.) nachgekommen. Dies war jedoch die bisher einzige Steuersatzanhebung, die mit der Anpassung an EU-Recht begründet werden konnte. Alle nachfolgenden Steuersatzanhebungen in Deutschland wären aus Sicht des EU-Rechts nicht erforderlich gewesen.

9.2 Ermäßigter Steuersatz

 

Rz. 108

Der in Deutschland seit 1.7.1983 geltende ermäßigte Steuersatz von 7 % stand im Einklang mit Art. 12 Abs. 3 Buchst. a dritter Unterabsatz der 6. EG-Richtlinie (Rz. 60) und konnte deshalb auch ab 1.1.1993 unverändert beibehalten werden. Zulässig wäre auch eine Absenkung bis auf 5 %. Hiervon hat der Gesetzgeber tatsächlich Gebrauch gemacht. Durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz[1] ist nämlich – befristet auf Umsätze in der Zeit vom 1.7. bis 31.12.2020 – der ermäßigte Steuersatz von 7 % auf 5 % abgesenkt worden. Gleichzeitig wurde der allgemeine Steuersatz ebenfalls befristet von 19 % auf 16 % abgesenkt. Der Gesetzgeber erwartete durch die Absenkung der USt-Sätze eine Stimulierung der Nachfrage und eine Belebung der Konjunktur (Rz. 30ff.).

 

Rz. 109

Der Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes von 7 % und des ab 1.1.2023 anzuwendenden Nullsteuersatzes auf die Lieferungen von Fotovoltaikanlagen usw. in Deutschland dürfte ebenfalls den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben weitgehend entsprechen. Diese Beurteilung schließt aber nicht aus, dass in Randbereichen doch einzelne Steuervergünstigungen mit Art. 98 und Anhang III MwStSystRL (bis 31.12.2006: Art. 12 Abs. 3 und Anhang H der 6. EG-Richtlinie) nicht in Einklang stehen.[2] Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH[3] sind Richtlinienvorschriften über eine Steuerbefreiung eng auszulegen, weil sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz einer umfassenden Besteuerung[4] darstellen. Dies gilt gleichermaßen für die Steuerermäßigungsvorschriften als Ausnahmen vom Anwendungsbereich des allgemeinen Steuersatzes. Dabei sind Auslegungsschwierigkeiten vorprogrammiert, weil insbesondere die Warenbegriffe des Anhangs III MwStSystRL (vor 2007: Anhangs H der 6. EG-Richtlinie) oft nicht eindeutig sind. Das mag zwar für die EU-Mitgliedstaaten eine größere Flexibilität bedeuten, kann aber zu einer unterschiedlichen Rechtsanwendung führen und lässt befürchten, dass über kurz oder lang einzelne Anpassungen des deutschen Rechts erforderlich werden.[5]

 

Rz. 110

Die nachfolgende Übersicht stellt die Ermäßigungstatbestände in Deutschland den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der MwStSystRL nach geltendem Recht gegenüber.[6] Einige Ermäßigungsmöglichkeiten bei landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen sind aufgrund der EG-Richtlinie 96/42/EG v. 25.6.1996 (Rz. 91) entfallen. Demgemäß sind die entsprechenden Ermäßigungstatbestände nach deutschem Recht durch Gesetz v. 12.12.1996[7] zum 1.1.1997 aufgehoben worden. Andererseits hat der deutsche Gesetzgeber von der schon länger bestehenden Ermäßigungsmöglichkeit für Beherbergungsleistungen und kurzfristige Vermietungen von Campingflächen erst zum 1.1.2010 durch Einfügung einer neuen Nr. 11 in § 12 Abs. 2 UStG durch Gesetz v. 22.12.2009[8] Gebrauch gemacht:

 
Ermäßigungstatbestände nach deutschem Recht

Ermäßigungsmöglichkeit nach der 6. EG-Richtlinie

(bis 31.12.2006)
Ermäßigungsmöglichkeit nach der MwStSystRL i. d. F. ab 6.4.2022 (Rz. 106i ff.)
1. Lebende Tiere[9] Art. 12 Abs. 3 Buchst. a, Anhang H Kategorie 1 Art. 98 Abs. 1, Anhang III Kategorie 1
2. Ausgebildete Blindenführhunde[10] Art. 12 Abs. 3 Buchst. a, Anhang H Kategorie 4 Art. 98 Abs. 1, Anhang III Kategorie 4
3. Fleisch und genießbare Schlachtnebenerzeugnisse[11] Art. 12 Abs. 3 Buchst. a, Anhang H Kategorie 1 Art. 98 Abs. 1, Anhang III Kategorie 1
4. Fische und Krebstiere, Weichtiere und andere wirbellose Wassertiere, ausgenommen Zierfische, Langusten, Hummer, Austern und Schnecken[12] Art. 12 Abs. 3 Buchst. a, Anhang H Kategorie 1 Art. 98 Abs. 1, Anhang III Kategorie 1
5. Milch und Milcherzeugnisse; Vogeleier und Eigelb, ausgenommen genießbare Eier ohne Schale und ungenießbares Eigelb; natürlicher Honig[13] Art. 12 Abs. 3 Buchst. a, Anhang H Kategorie 1 Art. 98 Abs. 1, Anhang III Kategorie 1
6. Mägen von Hausrindern und Hausgeflügel, rohe Knochen[14] Art. 12 Abs. 3 Buchst. a, Anhang H Kategorie 1 Art. 98 Abs. 1, Anhang III Kategorie 1
7. Rohe Bettfedern und Daunen[15] (ab 1.1.1997 aufgehoben) Art. 12 Abs. 3 Buchst. c (bis 31.12.1994) -
8. Lebende Pflanzen[16] Art. 12 Abs. 3 Buchst. a, Anhang H Kategorie 1 Art. 98 Abs. 1, Anhang III Kategorien 1, 23
9. Blumen und Blüten[17] Art. 12 Abs. 3 Buchst. d (bis 31.12.1994); Art. 28 Abs. 2 Buchst. i (ab 1.1.1995) Art. 122, Art. 98 A...

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