Rz. 32

Hat das Gericht alle in Betracht kommenden Aufklärungsmöglichkeiten[1] ausgeschöpft, ohne zu einer Überzeugung über das Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen zu gelangen (sog. "non liquet"), muss es, wenn kein Fall der Schätzung nach § 162 AO vorliegt, als "ultima ratio"[2] nach den Regeln der Feststellungslast entscheiden.

[2] Lange, in HHSp, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 156.

2.3.1 Grundsatz

 

Rz. 33

Eine gesetzliche Regelung für die Beweislastverteilung fehlt. Nach heute ganz herrschender Auffassung ist im Finanzgerichtsverfahren eine nichtbehebbare Ungewissheit über das Vorliegen von Tatsachen wegen des Untersuchungsgrundsatzes nach den Regeln der objektiven Feststellungslast (objektive Beweislast) zu lösen.[1] Das bedeutet, dass grundsätzlich jeder Beteiligte für die Nichterweislichkeit der tatsächlichen Voraussetzungen derjenigen Normen, auf die er seinen Anspruch stützt, einstehen muss (sog. Normentheorie). Das FA trägt daher die Beweislast für steuerbegründende und steuererhöhende Tatsachen, der Stpfl. die Beweislast für steuerentlastende oder steuermindernde Tatsachen.

[1] BFH v. 25.7.2000, IX R 93/97, BStBl II 2001, 9; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 83; Stapperfend, in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 96 FGO Rz. 51; Lange, in HHSp, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 154; Schmidt-Troje, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 65.

2.3.2 Ausnahmen

 

Rz. 34

Die Rspr. des BFH betont unter Hinweis auf das Fehlen einer gesetzlichen Regelung, dass es sich bei der objektiven Feststellungslast nach der Normentheorie nur um einen Grundsatz handle, der im Einzelfall je nach Inhalt und Zweck der betreffenden Norm Abwandlungen unterliege.[1] Die Feststellungslast wird dann nach Einflusssphäre bzw. Verantwortungsbereich oder Beweisnähe des jeweiligen Beteiligten verteilt. Das führt im praktischen Ergebnis zu einer Umkehr der Beweislast.[2] In diesen Fällen genügt jedoch eine Beweiswürdigung, bei der z. B. die fehlende Mitwirkung von Beteiligten berücksichtigt wird, sodass keine Notwendigkeit besteht, die Fälle über eine Beweislastregel zu lösen.[3]

[1] BFH v. 23.2.1999, IX R 19/98, BStBl II 1999, 407; Stapperfend, in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 96 FGO Rz. 24f. m. w. N.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 88.
[3] A. A. Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Rz. 92, der die Beweislastgrundregel nach Maßgabe der Sphärenverantwortlichkeit der Beteiligten modifiziert.

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