Rz. 2

Aufgrund der Verweisung des Abs. 1 gilt § 169 GVG für den Grundsatz der Öffentlichkeit.

 

Rz. 3

Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist ein Leitgedanke des Prozessrechts. Er besitzt zwar keinen Verfassungsrang[1], ist aber im Rahmen der – in verschiedenen Verfahrensarten unterschiedlich – strengen Regeln stets genau zu beachten. Er dient hauptsächlich dem Zweck, der Allgemeinheit eine Kontrollmöglichkeit zu geben, die bei "Geheimprozessen" nicht möglich ist. Damit soll auch das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte und ihrer Entschei­dungen gestärkt werden[2]. Er dient dagegen nicht privaten Interessen[3]. Im Finanzgerichtsverfahren ist der Grundsatz der Öffentlichkeit vor allem durch § 52 Abs. 2 FGO erheblich eingeschränkt (vgl. Rz. 7). Tatsächlich kann dem Grundsatz der Öffentlichkeit die Folge nicht abgesprochen werden, dass das Verhalten des bzw. der Richter kritisch betrachtet werden kann und dass damit ein Druck auf ein faires Verfahren ausgeübt wird[4]. Für den Steuerprozess ergibt sich aus dem Öffentlichkeitsprinzip zusätzlich eine Kontrollmöglichkeit zum Verhalten der Finanzbehörden. § 52 Abs. 2 FGO berücksichtigt dabei die sich gegenüberstehenden Interessen an der öffentlichen mündlichen Verhandlung einerseits und des Stpfl. an der Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) andererseits.

 

Rz. 4

Öffentlichkeit bedeutet, dass grundsätzlich jeder Interessierte für die Zeit der mündlichen Verhandlung Zugang zum Gerichtssaal haben muss. Öffentlichkeit und Grundsatz der mündlichen Verhandlung stehen somit in einem engen Zusammenhang. Ohne mündliche Verhandlung (vgl. zu dieser die Erl. zu § 90a AO) ist keine Öffentlichkeit möglich. Von der Öffentlichkeit umfasst wird gem. § 169 GVG allerdings nicht nur die mündliche Verhandlung, sondern auch die Verkündung der Entscheidung[5]. Bei Verfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen die Entscheidungen nicht öffentlich (s. u. Rz. 11). Vorbereitende Erörterungs- und Beweistermine sind lediglich parteiöffentlich[6].

Die Öffentlichkeit ist gewahrt, wenn ein unbestimmter – nach Maßgabe der vorhandenen Sitzplätze im Gerichtssaal möglicherweise beschränkter – Kreis von Personen der Verhandlung am Verhandlungsort folgen kann[7]. Ausreichend ist sicher nicht das Vorhandensein nur eines Sitzplatzes im Gerichtssaal. Andererseits bedarf es auch keiner Vielzahl von Sitzplätzen, die stets allen Interessenten einen Zugang bieten[8]. Das Verbot von Rundfunk- und Fernsehübertragungen sowie des Fotografierens während der mündlichen Verhandlung verletzt nicht den Öffentlichkeitsgrundsatz, sondern folgt aus der gesetzlichen Einschränkung in § 169 S. 2 GVG. Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß[9]. Gedanken zur Änderung dieser Regelung de lege ferenda sind kritisch zu verfolgen, da eine Öffnung zu Abhängigkeiten bei der Entscheidung beitragen könnte.

 

Rz. 5

Zur Öffentlichkeit gehört auch die Möglichkeit, sich an dafür vorgesehenen Stellen über den Ort der mündlichen Verhandlung zu informieren. Bei Durchführung einer Sitzung außerhalb des Gerichtsgebäudes muss durch Anschlag im Gerichtsgebäude auf den Sitzungsort hingewiesen werden[10]. Findet die Sitzung in den Räumen Dritter statt, so soll nach bedenklicher h. M. die Nichtzulassung von Zuhörern durch den Eigentümer der Räume den Grundsatz der Öffentlichkeit nicht verletzen[11]. Die h. M. stützt sich für ihre Auffassung darauf, dass eine Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit durch Gesetz möglich ist und daher dem fremden Hausrecht gegenüber dem Öffentlichkeitsprinzip Vorrang eingeräumt werden könne[12].

§ 91a FGO sieht insofern eine Einschränkung der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung ein, als die Beteiligten sich in einem anderen Raum als dem Sitzungsraum aufhalten[13], während die Verhandlung aus dem anderen Raum zeitgleich in Bild und Ton in den Sitzungsraum übertragen wird.

 

Rz. 6

Beschränkungen der Öffentlichkeit, die nicht ohnehin (z. B. wegen der geringen Zahl der Plätze im Gerichtssaal) gerechtfertigt sind, sind nur dann Verfahrensmängel i. S. d. § 119 Nr. 5 FGO, wenn sie vom Gericht schuldhaft verursacht worden sind[14]. Brandis [15] fordert demgegenüber wegen des objektiven Tatbestands der Öffentlichkeit eine bloße objektive Zurechnung. Nach nicht unbedenklicher Auffassung in BFH v. 24.8.1990[16] kann im Übrigen ein Beteiligter wirksam auf die Befolgung der Vorschriften über die Öffentlichkeit verzichten.

[1] BVerfG v. 7.3.1963, 2 BvR 629, 637/62, BVerfGE 15, 303, 307, s. a. BverfG v. 30.10.2002, 1 BvR 1932/02, NJW 2003, 500.
[2] BFH v. 10.11.2005, VIII B 166/04, BFH/NV 2006, 752, Spindler, in HHSP, AO, § 52 FGO Rz. 3, 9.
[4] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 52 FGO Rz. 2.
[5] Vgl. auch § 173 Abs. 1 GVG; s. Rz. 11.
[8] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 52 FGO Rz. 4.
[9] Jesse, DB 2008, 1996.
[10] OLG Stuttgart v. 25.8.1976, 3 Ss (10) 524/86, MDR 1977, 249...

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