Rz. 69

Es kommt auch vor, dass unselbstständige, nicht gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlagen eines Bescheids für einen anderen Bescheid bindend sind.

Es handelt sich im Wesentlichen um folgende Fälle:

  • Die Ermittlung der positiven oder negativen Einkünfte im ESt- bzw. GewSt-Bescheid hat in gewissem Umfang Bindungswirkung für die Feststellung des vortragsfähigen Verlustes; hierzu Rz. 14, 42.
  • Änderung der Besteuerungsgrundlagen bei der Tarifermäßigung nach § 32c Abs. 6 EStG.
  • Einkommensgrenzen in Prämiengesetzen:

    In § 2a WoPG, und § 13 Abs. 1 des 5. VermBG ist bestimmt, dass die Prämienberechtigung von bestimmten Einkommensgrenzen abhängig ist. Das in dem jeweiligen ESt-Bescheid enthaltene Einkommen ist hierfür bindend. § 8 Abs. 4 WoPG schließt es ausdrücklich aus, diese Besteuerungsgrundlagen für die Prämienfestsetzung mit einem Rechtsbehelf gegen den Prämienbescheid anzufechten.

  • Bindung des Kindergeldbescheids an den ESt-Bescheid:

    Dagegen besteht keine Bindung des Kindergeldbescheids an den ESt-Bescheid hinsichtlich der für die Kindergeldfestsetzung maßgebenden Parameter Einnahmen, Bezüge, Werbungskosten und ausbildungsbedingte Aufwendungen. Diese Begriffe können anders als die einkommensteuerlichen Begriffe Einkünfte und Werbungskosten ausgelegt werden. Das Kindergeldverfahren ist ein eigenständiges Verfahren. Der ESt-Bescheid des Kinds ist daher kein Grundlagenbescheid für die Kindergeldfestsetzung gegenüber den Eltern.[1] Vielmehr haben die Familienkassen selbstständig und ohne Bindung an den ESt-Bescheid die Einkünfte und Bezüge des Kinds zu ermitteln.

 

Rz. 70

Da in diesen Fällen die Bindung nicht an den Regelungsgehalt (Tenor) des Steuerbescheids anknüpft, sondern an nicht bestandskräftig festgestellte unselbstständige Besteuerungsgrundlagen des jeweiligen Steuerbescheids, handelt es sich nicht um Grundlagen- und Folgebescheide im strengen Sinn. Daher ist auch § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO nicht unmittelbar anwendbar. Regelmäßig ist somit in den genannten Fällen eine besondere Änderungsvorschrift enthalten, die § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO in ihrer Struktur jedoch ähnelt. Vgl. § 172 AO Rz. 56, 62.

 

Rz. 71

Es ist aus rechtsstaatlichen Gründen bedenklich, einen Bescheid an Besteuerungsgrundlagen zu binden, über die nicht ihrerseits im Tenor eines Feststellungs- oder Steuerbescheids bestandskräftig entschieden werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass durch eine solche Regelung der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Rechtsschutz beeinträchtigt wird. Es ist nicht immer möglich, die für den abhängigen Bescheid bindenden Besteuerungsgrundlagen durch Anfechtung des betreffenden Steuerbescheids überprüfen zu lassen. So erfolgt in "Saldierungsfällen" z. B. keine Korrektur einer unrichtigen Besteuerungsgrundlage, wenn eine andere Unrichtigkeit mit gegenläufiger Wirkung vorliegt.[2] Man wird daher in solchen Fällen, trotz etwa der Regelung in § 8 Abs. 4 WoPG, die Anfechtung des abhängigen Bescheids mit dem Ziel der Überprüfung der für diesen Bescheid bindenden Besteuerungsgrundlagen zulassen müssen, wenn anders kein ausreichender Rechtsschutz gewährt würde. Auch aus systematischen Gründen bestehen Bedenken, nicht bindend festgestellte Besteuerungsgrundlagen als bindend in einen anderen Bescheid übernehmen zu müssen.

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