Rz. 89

§ 90 Abs. 3 S. 8, 1. Hs. AO beschränkt das Erfordernis der zeitnahen Erstellung von Aufzeichnungen auf außergewöhnliche Geschäftsvorfälle. Hierdurch soll der mit einer Vorratsdokumentation verbundene Aufwand für die betroffenen Unternehmen reduziert werden. Weder das Gesetz noch die GAufzV geben Auskunft, wann ein Geschäftsvorfall die Schwelle zur Außergewöhnlichkeit überschreitet. § 3 Abs. 2 GAufzV begnügt sich mit der Nennung einiger – wiederum unbestimmter[1] – Regelbeispiele. Danach sind insbesondere folgende Geschäftsvorfälle als außergewöhnlich anzusehen:

  • Abschluss und Änderung langfristiger Verträge, die sich erheblich auf die Höhe der Einkünfte des Stpfl. aus den Geschäftsbeziehungen auswirken,
  • Vermögensübertragungen im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen,
  • Übertragung und Überlassung von Wirtschaftsgütern und Vorteilen im Zusammenhang mit wesentlichen Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen,
  • Geschäftsvorfälle im Zusammenhang mit einer für die Verrechnungspreisbildung erheblichen Änderung der Geschäftsstrategie,
  • Abschluss von Umlageverträgen.[2]
 

Rz. 90

Nach den Grundsätzen für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahe stehenden Personen in Fällen von grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen[3] stellen auch diese Vorgänge stets außergewöhnliche Geschäftsvorfälle dar. Im Übrigen enthalten die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren[4] zwei allgemeine Aussagen. Nach Rz. 3.4.8 sind Geschäftsvorfälle außergewöhnlich, wenn sie im Hinblick auf Art, Inhalt, Zweck, Umfang oder Risiko über das gewöhnliche Tagesgeschäft hinausgehen und deshalb Ausnahmecharakter haben. Zusätzlich muss der Vorgang für die Höhe der Einkünfte des Stpfl. im laufenden Jahr oder in der Zukunft von erheblicher Bedeutung sein.

 

Rz. 91

Aus dem Gesetz geht ferner nicht hervor, bis wann eine Aufzeichnung zu erstellen ist, um noch dem Kriterium der "Zeitnähe" zu genügen. Nach § 3 Abs. 1 GAufzV sind Aufzeichnungen zeitnah erstellt, wenn sie im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Geschäftsvorfall gefertigt wurden. Die Aufzeichnungen gelten noch als zeitnah erstellt, wenn sie innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs gefertigt werden, in dem sich der betreffende Geschäftsvorfall ereignet hat.[5]

 

Rz. 92

Im Umkehrschluss zu § 90 Abs. 3 S. 8, 1. Hs. AO ist es dem Stpfl. für gewöhnliche Geschäftsvorfälle freigestellt, wann er seiner Aufzeichnungspflicht nachkommt. Es bedarf insoweit keiner Vorratsdokumentation. Die Dokumentation kann auch noch nach Zugang des Vorlageverlangens (vgl. Rz. 96f.) erstellt werden. Aber auch für gewöhnliche Geschäftsvorfälle ist dem Stpfl. generell eine zeitnahe Aufzeichnung der erforderlichen Daten anzuraten.[6] Ein längeres Zuwarten birgt regelmäßig die Gefahr von Erinnerungs- und Beweisnöten, die zu einer Unverwertbarkeit der nachgeholten Aufzeichnung i. S. und mit den Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3 und 4 AO führen kann.

 

Rz. 93

Darüber hinaus bestimmt § 4 Abs. 2 GAufzV einen Katalog verschiedener Sachverhalte, die jeweils besondere Aufzeichnungen erforderlich machen. Hierbei handelt es sich u. a. um Informationen über Sonderumstände wie Maßnahmen zum Vorteilsausgleich sowie über Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen bzw. Verständigungsverfahren mit ausländischen Steuerverwaltungen (z. B. Informationen über sog. Advanced Pricing Agreements – APAs), Kostenumlageverträge, Aufzeichnungen über Preisanpassungen und über die Ursachen von Verlusten in mehr als drei aufeinander folgenden Wirtschaftsjahren. Durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007[7] wurde § 5 S. 2 GAufzV ergänzt. In Fällen von Funktions- und Risikoänderungen müssen seither auch besondere Aufzeichnungen über Forschungsvorhaben und laufende Forschungstätigkeiten erstellt werden.

[1] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 47, a. A. Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 90 AO Rz. 202.
[2] Angefügt durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl I 2007, 1912.
[5] Kritisch hierzu Roser, in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 156; Wagner, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 90 AO Rz. 9; Wassermeyer, DB 2003, 1535; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 90 AO Rz. 204 ist hingegen zutreffend der Ansicht, dass die Fristbestimmung von der Verordnungsermächtigung gedeckt ist.
[6] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 48; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 90 AO Rz. 205; Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 90 Rz. 34; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 157.
[7] BGBl I 2007, 1912.

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