Rz. 58

Die Sachaufklärungs-, Beweismittelbeschaffungs- und Beweisvorsorgepflichten unterliegen im Einzelfall den allgemeinen pflichtenbegrenzenden Grundsätzen. Die Erfüllung der dem Beteiligten auferlegten Mitwirkungshandlung muss deshalb notwendig und geeignet, erfüllbar, erforderlich, verhältnismäßig sowie zumutbar sein.[1]

 

Rz. 59

Die in § 90 Abs. 2 S. 2 AO vorgesehene Begrenzung auf die "bestehenden Möglichkeiten" stellt klar, dass der Beteiligte nicht verpflichtet ist, durch spezifische Maßnahmen die Möglichkeiten der Beweismittelbeschaffung erst zur Entstehung zu bringen.[2] Maßgeblich ist hierbei immer der konkrete Verantwortungs- und Machtbereich des Beteiligten.[3] Einer inländischen Tochtergesellschaft ist es regelmäßig nicht möglich, sich Kalkulationsunterlagen der ausländischen Muttergesellschaft zu beschaffen oder sich von ihr im Vorhinein vertraglich zusichern zu lassen, später Einsicht in diese Unterlagen zu erhalten.[4] Eine inländische Muttergesellschaft kann hingegen grundsätzlich verpflichtet werden, von ihrer ausländischen Tochtergesellschaft Kalkulationsunterlagen zu beschaffen.[5]

 

Rz. 60

Einer differenzierten Betrachtung bedarf es hinsichtlich der Frage, welchen Einfluss ausländische Strafgesetze[6] auf die erweiterten Mitwirkungspflichten haben. Grundsätzlich stehen derartige Regelungen einer Anwendung des § 90 Abs. 2 AO nicht entgegen. Sie genießen völkerrechtlich keinen Vorrang. Die etwaigen Auswirkungen dieser gezielt gegen andere Staaten gerichteten Strafrechtsnormen sind für das inländische Besteuerungsverfahren deshalb regelmäßig irrelevant.[7] Gleichwohl können Beteiligte hierdurch einer schweren Pflichtenkollision ausgesetzt sein. Diese ist unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Einzelfall nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit zu beheben. Besteht für den Beteiligten ein materielles und konkretes Risiko der Verfolgung durch die ausländische Strafjustiz, so führt dieser Konflikt letztendlich zur Unzumutbarkeit der Beweismittelbeschaffung.[8]

[2] Vgl. aber § 90 Abs. 3 AO.
[5] Schnorberger, DB 2002, 2185; Hruschka, IStR 2002, 753.
[6] Z. B. Art. 273 des Schweizerischen StGB und Art. 4 des Liechtensteinischen StaatsschutzG.
[7] BFH v. 16.4.1980, I R 75/78, BStBl II 1981, 492; BFH v. 31.5.2006, II R 66/04, BStBl II 2007, 49; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 35; Dreßler, StBp 1992, 149.
[8] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 90 AO Rz. 162; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 35; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 53; Dreßler, StBp 1992, 149.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge