Rz. 29

Von der Vollmachtserteilung durch konkludentes Verhalten sind die Fälle zu unterscheiden, in denen eine Vollmacht nicht erteilt wurde, der angeblich Vertretene sich unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes den durch das Auftreten und Verhalten des angeblichen Vertreters erzeugten Rechtsschein der Bevollmächtigung gleichwohl zurechnen lassen muss.[1] Der Rechtsschein fingiert die wirksame Bevollmächtigtenstellung i. S. v. § 80 AO.[2] Durch eine zusätzliche auf dem Rechtsschein beruhende Vollmacht wird ein zuvor begründetes Vertretungsverhältnis nicht berührt.[3]

Diese Rechtswirkung des Rechtsscheins tritt ein im Fall der:

  • Duldungsvollmacht, wenn der Vertretene von dem Auftreten des angeblichen Vertreters Kenntnis hat und dieses Verhalten duldet und nicht verhindert;[4]
  • Anscheinsvollmacht, wenn der Vertretene das Auftreten des angeblichen Vertreters zwar nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können.[5] Es muss ein wiederholtes Verhalten des "Vertreters" vorliegen. Ein einmaliges Verhalten begründet grundsätzlich keine Anscheinsvollmacht.[6]
 

Rz. 30

Diese allgemeinen Grundsätze über die Anscheins- oder Duldungsvollmacht gelten auch für das Verwaltungsverfahren in Steuersachen.[7] Hier ist zu beachten:

  • Der formularmäßige Antrag auf Fristverlängerung[8] oder die Mitwirkung bei der Erstellung der Steuererklärung begründet nicht den Anschein der Vollmacht zur Verfahrensmitwirkung und insbesondere zur Einspruchseinlegung.[9]
  • Aus der Empfangsbevollmächtigung kann nicht auf eine allgemeine Bevollmächtigung geschlossen werden.[10]
  • Für den im Namen des Importeurs handelnden Spediteur wird eine Vollmachtsvermutung nicht begründet.[11]
[4] FG Düsseldorf v. 26.2.1997, 7 K 3208/91 GE, EFG 1997, 1087 für eine Empfangsvollmacht; für die jahrelange Mitwirkung eines Steuerberaters bei der Erfüllung verschiedener steuerlicher Pflichten Niedersächsisches FG v. 31.1.2001, 4 K 539/00, EFG 2001, 1530.
[6] FG des Saarlandes v. 27.9.1990, 2 K 185/88, EFG 1991, 294; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rz. 5; a. A. Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 80 AO Rz. 95.
[7] BVerfG v. 15.2.1985, 1 BvR 338/84, HFR 1986, 259 für die Bekanntgabe von Steuerbescheiden, s. auch z. B. BFH v. 28.2.2005, IX B 119/04, BFH/NV 2005, 1130; BFH v. 3.3.2003, IX B 206/02, BFH/NV 2003, 884; BFH v. 19.3.2002, IX R 8/99, BFH/NV 2002, 1122 m. w. N.; BFH v. 24.7.1990, IX B 207/89, n. v. für die Empfangsberechtigung von Feststellungsbescheiden; BFH v. 25.9.1990, IX R 84/88, BStBl II 1991, 120 für die Empfangsberechtigung der Prüfungsanordnung; ebenso BFH v. 26.6.1997, XI B 174/96, BFH/NV 1998, 17; BFH v. 12.2.1997, X B 146/96, BFH/NV 1997, 542 für die Einspruchsrücknahme.
[8] FG Bremen v. 29.5.2000, 299247K 2, 299248K 2, n. v., Haufe-Index HI426391.
[9] FG Köln v. 27.8.1981, V 262/79 E, EFG 1982, 223.
[11] FG Baden-Württemberg v. 14.3.1989, XI K 121/85 Z, EFG 1982, 472.

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