3.3.1 Verfahrenshandlungsunfähigkeit von juristischen Personen, Vereinigungen und Vermögensmassen (§ 79 Abs. 1 Nr. 3 AO)

 

Rz. 32

Steuerrechtssubjekten, die keine natürlichen Personen sind, fehlt die natürliche Handlungsfähigkeit. Deshalb müssen für diese Steuerrechtssubjekte, wie sie in § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO zusammengefasst als juristische Personen, Vereinigungen und Vermögensmassen bezeichnet werden, gem. § 34 AO die nach den Vorschriften des Zivilrechts zu bestimmenden gesetzlichen Vertreter oder besonders Beauftragten handeln. Hieraus kann sich auch eine mehrstufige Vertretungsreihenfolge ergeben, an deren letzter Stelle aber eine nach § 79 Abs. 1 Nr. 1, 2 AO handlungsfähige natürliche Person stehen muss. Der gesetzliche Vertreter oder besonders Beauftragte wird aber selbst dadurch nicht zum Beteiligten.[1]

Der missverständliche Wortlaut rechtfertigt daher nicht die Schlussfolgerung, dass eine juristische Person, Vereinigung oder Vermögensmasse selbst verfahrenshandlungsfähig werden kann. Diese Rechtsgebilde bleiben stets verfahrenshandlungsunfähig. Regelungsgegenstand des § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO ist daher nicht die eigentliche Verfahrenshandlungsfähigkeit, sondern die Vertretung verfahrenshandlungsunfähiger Beteiligter[2], mithin welche verfahrenshandlungsfähigen Personen für die rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Rechtsgebilde wirksam Verfahrenshandlungen vornehmen können.

 

Rz. 33

Die Handlungsfähigkeit besitzt der im Zeitpunkt der Vornahme der Verfahrenshandlung bestellte gesetzliche Vertreter oder besonders Beauftragte[3], selbst wenn das Verfahren einen Besteuerungszeitraum betrifft, in dem die Rechtsstellung für den gesetzlichen Vertreter oder besonders Beauftragten noch nicht bestand. Ehemalige gesetzliche Vertreter oder besonders Beauftragte haben mit ihrer Rechtsstellung auch die Handlungsfähigkeit für den Beteiligten verloren. Auf die Vertretungsbefugnis im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung kommt es dagegen nicht an.[4]

[1] Klein/Rätke, AO, 15. Aufl. 2020, § 79 Rz. 10.
[2] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 80; Mues, in Gosch, AO/FGO, § 79 AO Rz. 35; Koenig/Wünsch, AO, 4. Auflage 2021, § 79 Rz. 21; FG München v. 10.3.2021, 3 K 1123/19, EFG 2021, 997.

3.3.1.1 Verfahrenshandlungen durch gesetzliche Vertreter

 

Rz. 34

Juristische Personen können nur durch ihre gesetzlichen Vertreter handeln.[1] Die gesetzliche Vertretung bestimmt sich nach materiellem Recht. Für die inländischen Gesellschaftsformen, wie bspw. der AG, dem eingetragenen Verein, der Genossenschaft oder die eingetragene Stiftung ist dies der Vorstand; für die GmbH der Geschäftsführer. Neben dem gesetzlichen Vertreter ist ein besonders Beauftragter, wie der Prokurist, nicht zur Vertretung berufen.[2]

Rz. 35 einstweilen frei

[1] BFH v. 7.7.2017, V B 168/16, BFH/NV 2017, 1445; BFH v. 30.10.2008, III R 107/07, BStBl II 2009, 352; BFH v. 13.8.2008, XI R 19/08, BStBl II 2009, 497; weiter Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 79 AO Rz. 22; Mues, in Gosch, AO/FGO, § 79 AO Rz. 41.
[2] Koenig/Wünsch, AO, 4. Aufl. 2021, § 79 Rz. 22; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 83a; Klein/Rätke, AO, 15. Aufl. 2020, § 79 AO Rz. 10; BFH v. 15.10.1998, III R 58/95, BStBl II 1999, 237; BFH v. 16.5.2002, III R 27/01, BStBl II 2002, 668; BFH v. 13.8.2008, XI R 19/08 (EuGH-Vorlage), BStBl II 2009, 497; BFH v. 8.8.2013, V R 3/11, BStBl II 2014, 46.

3.3.1.2 Verfahrenshandlungen durch "besonders Beauftragte"

 

Rz. 36

Nicht rechtsfähige Personenvereinigungen oder Vermögensmassen haben keine gesetzlichen Vertreter. Diese handeln im Steuerverwaltungsverfahren durch ihren sog. "besonders Beauftragten". Besonders Beauftragte i. S. v. § 79 Abs. 1 S. 3 AO sind natürliche Personen, die nicht Bevollmächtigte oder gesetzliche Vertreter sind, denen aber durch Steuergesetz – regelmäßig aufgrund der Bestimmungen in der Satzung, dem Gesellschaftsvertrag oder sonstiger Verfassung – auferlegt worden ist, für die handlungsunfähige Vereinigung oder Vermögensmasse deren Rechte und Pflichten aus dem Steuerrechtsverhältnis wahrzunehmen.[1] Hierzu zählt der in § 34 AO genannte Personenkreis[2], nicht jedoch eine Person, die aufgrund eines zivilrechtlichen Arbeits- oder Dienstvertrags für den Beteiligten tätig wird, wie ein Prokurist.[3] Der besonders Beauftragte ist nicht nur vom gesetzlichen Vertreter abzugrenzen, sondern auch vom Bevollmächtigten i. S. v. § 80 AO, der nach freiem Belieben mit der Vertretung des Beteiligten in Steuerverwaltungsverfahren beauftragt werden kann.[4]

 
Praxis-Beispiel

Die bestellten Geschäftsführer nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen, wie der GbR, OHG oder KG oder einer Vermögensmasse handeln für diese Rechtsgebilde, wenn ihnen auch die Vertretung in steuerlichen Angelegenheiten zusteht.

Unter den Begriff des besonders Beauftragten können zudem jene Personen fallen, die gem. § 34 Abs. 2 AO die Pflichten nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen oder Vermögensmassen zu erfüllen haben sowie Vermögensverwalter i. S. v. § 34 Abs. 3 AO.[5]

 
Praxis-Beispiel

Eine GmbH & Co. KG kann durch Ihren gesetzlichen Vertreter, die Komplementär-GmbH, bzw. diese wiederum durch ihren Geschäftsführer handeln. Als beson...

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