3.1.1 Verfahrenshandlungsfähigkeit – Geschäftsfähigkeit i. S. d. BGB

 

Rz. 13

§ 79 Abs. 1 AO knüpft hinsichtlich der Verfahrenshandlungsfähigkeit natürlicher Personen an die bürgerlich-rechtlichen Regelungen über die Geschäftsfähigkeit an. Diese ist – neben der Deliktsfähigkeit nach § 828 BGB – eine Unterform der allgemeinen Handlungsfähigkeit. Sie bezeichnet die Fähigkeit, sich durch Rechtsgeschäfte, d. h. Willenserklärungen oder Verträge, binden zu können.[1]

Maßgeblich ist die Rechtslage im Geltungsbereich der AO. Deshalb gelten nach § 79 Abs. 3 AO i.  V. m. § 55 ZPO Ausländer – natürliche Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen – auch dann als handlungsfähig, wenn sie zwar nach deutschem Recht, nicht aber nach dem Recht ihres Heimatlandes als handlungsfähig anzusehen sind (Rz. 31).

Anders als das BGB mit den §§ 104ff. BGB unterscheidet die AO aber nicht zwischen der Geschäftsfähigkeit, der Geschäftsunfähigkeit und der beschränkten Geschäftsfähigkeit, sondern definiert folgende Kategorien:

  • Unbeschränkte Verfahrenshandlungsfähigkeit;
  • Verfahrenshandlungsunfähigkeit sowie
  • partielle Verfahrenshandlungsfähigkeit (sachlich beschränkte Verfahrenshandlungsfähigkeit).

Natürliche Personen, die entweder unbeschränkt oder partiell (voll) geschäftsfähig sind, sind verfahrenshandlungsfähig.

[1] Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl. 2021, Einf. v. § 104 BGB Rz. 2.

3.1.2 Unbeschränkte Verfahrenshandlungsfähigkeit

 

Rz. 14

Nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 AO ist eine natürliche Person verfahrenshandlungsfähig, die nach bürgerlichem Recht (un-) beschränkt geschäftsfähig ist. Nach den zivilrechtlichen Vorgaben ist eine natürliche Person unbeschränkt geschäftsfähig, wenn diese zum einen volljährig i. S. v. § 2 BGB ist und zum anderen weder geschäftsunfähig oder lediglich beschränkt geschäftsfähig ist.

 

Rz. 15

Volljährigkeit tritt nach § 2 BGB mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Sie besteht während der Lebensdauer eines Menschen stets, sofern nicht eine Beschränkung oder ein Fall der Handlungsunfähigkeit vorliegt.

 

Rz. 16

Geschäftsunfähig nach § 104 BGB und damit handlungsunfähig gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 AO sind

  1. Personen , die das 7. Lebensjahr nicht vollendet haben,
  2. Personen, die sich in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden. Eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit beeinflusst die Geschäftsfähigkeit nicht, wohl aber sind in diesem Zustand abgegebene Willenserklärungen gem. § 105 Abs. 2 BGB nichtig.[1] Die krankhafte Störung der Geistestätigkeit muss zu einem Ausschluss der freien Willensbestimmung führen. Ein Ausschluss liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der gegebenen Geistesstörung zu bilden und nach den unter Abwägung des Für und Wider zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln.[2]
  3. Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit führen nicht ohne weiteres zum Ausschluss der freien Willensbestimmung.[3]
 
Hinweis

Die Finanzverwaltung hat bei begründeten Anhaltspunkten für eine krankhafte Störung des Geisteszustandes entsprechende Prüfungen und Feststellungen zu treffen bzw. einzuholen, wie etwa durch die Einholung eines ärztlichen Gutachtens. Tritt die Geschäftsunfähigkeit zwischen Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsaktes und Ablauf einer Rechtsbehelfsfrist ein, rechtfertigt dies die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

[2] Müller, in Erman, BGB, § 104 BGB Rz. 7.
[3] BGH v. 5.6.1972, II ZR 119/70, WM 1972, 972; Müller, in Erman, BGB, § 104 BGB Rz. 7.

3.1.3 Keine beschränkte Geschäftsfähigkeit i. S. v. § 106 BGB

 

Rz. 17

Ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist nach Maßgabe der §§ 107 bis 113 BGB in der Geschäftsfähigkeit beschränkt. Beschränkt geschäftsfähige Personen sind grds. verfahrensunfähig. Wenn und soweit nicht ausnahmsweise eine partielle Verfahrenshandlungsfähigkeit i. S. d. § 79 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben ist, sind Verfahrenshandlungen eines Minderjährigen daher stets unwirksam. Beschränkt Geschäftsfähige können somit weder mit Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter wirksam handeln, noch wirksam einen Steuerverwaltungsakt entgegennehmen, selbst wenn dieser einen lediglich rechtlichen Vorteil generieren würde.[1]

[1] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 44; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 79 AO Rz. 21.

3.1.4 Partielle Verfahrenshandlungsfähigkeit i. S. v. § 79 Abs. 1 Nr. 2 AO

 

Rz. 18

Partiell handlungsfähig sind nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 AO ausnahmsweise auch natürliche Personen, die zwar beschränkt geschäftsfähig sind, aber aufgrund zivilrechtlicher oder öffentlich rechtlicher Vorschriften für den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens als geschäfts- bzw. handlungsfähig behandelt werden. Im Übrigen bleiben aber beschränkt geschäftsfähige natürliche Personen verfahrenshandlungsunfähig. Es muss also eine Regelung vorliegen, aufgrund derer ein beschränkt Geschäftsfähiger allgemein befugt ist, seine steuerlichen Angelegenheiten selbst zu regeln.[1] Die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zur Vornahme einzelner Rechtsgeschäfte[2] führt nicht zur Verfahrenshandlungsfähigkeit im finanzbehördlichen Verwaltungsverfahren.[3]

 

Rz. 18a

Liegt dagegen eine e...

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