3.1 Beschränkung der Verfügungsmacht

 

Rz. 4

Die öffentlich-rechtliche Beschränkung der Verfügungsmacht nach § 154 Abs. 3 AO muss eingetreten sein. Die Voraussetzungen des § 154 Abs. 1 AO müssen zunächst erfüllt worden sein[1], und die Kontensperre und das Herausgabeverbot müssen durch Kenntniserlangung ausgelöst worden sein.

[1] Vgl. § 154 AO Rz. 26.

3.2 Verstoß gegen das Herausgabeverbot

 

Rz. 5

Entgegen dem Auszahlungs- und Herausgabeverbot müssen ohne Zustimmung des FA das Guthaben ausgezahlt, aus der Verwahrung Wertsachen oder aus dem Schließfach dessen Inhalt herausgegeben worden sein. Voraussetzung ist eine auf Dauer angelegte Verwahrung oder Vermietung.[1]  Teilherausgaben fallen ebenfalls hierunter. Ohne Belang ist, an wen und aus welchem Grund (z. B. Abtretung) die Herausgabe geschieht. Eine Mitwirkung an der Verfügung über Guthaben, Wertpapiere usw. reicht aus. Eine körperliche Übergabe ist nicht erforderlich.[2] Die bloße Entgegennahme einer Aufrechnungserklärung durch den Konteninhaber reicht allerdings mangels Handelns, Duldens oder Unterlassens des Kontenführers nicht für die "Herausgabe".[3] Auch eine Aufrechnung ist dann ausnahmsweise als Verstoß gegen die Kontensperre zu werten, wenn der Kontoführer (Bank) über die Eröffnung des Kontos hinaus Handlungen wie z. B. eine Kreditgewährung vornimmt, die dem Kontoinhaber Verfügungen über das Konto (z. B. Aufrechnung) ohne Mitwirkung des Kontoführers ermöglicht.[4] Erteilt das FA seine Zustimmung nachträglich (Genehmigung), so scheidet die Haftung aus.[5] Für die Zustimmung zuständige Finanzbehörde ist das FA inanzamt, das für die ESt oder KSt des Verfügungsberechtigten zuständig ist.[6]

 

Rz. 5a

Bei mehreren Verfügungsberechtigten, z. B. den Eltern über das Konto des Kindes oder den Geschäftsführern, Prokuristen usw. einer Gesellschaft, bedarf es nach dem Wortlaut der Zustimmung aller für diese zuständiger FÄ.[7] Wenn auch der Gesetzgeber in § 154 AO wie früher in § 163 RAO die Personen der Verfügungsberechtigten und des Gläubigers miteinander verwechselt und vermischt zu haben scheint[8], muss hier doch dem Wortlaut der Vorschrift gefolgt werden, da die Verfügungsberechtigung nicht nur ein wichtiges Anzeichen für die Gläubigerschaft bietet, sondern hinter ihr auch besondere Interessen liegen können, deren Kenntnis für eine vollständige und zutreffende Besteuerung und deren Realisierung bedeutsam sein können.

Der Verstoß gegen das Herausgabeverbot muss ursächlich für die Nichtverwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sein.[9] Diese Kausalität ergibt sich aus der Umschreibung der Ausfallhaftung (vgl. Rz. 2). Die Ursächlichkeit des Verstoßes für die Steuerausfälle ist danach zu beurteilen, ob das zuständige Finanzamt (vgl. Rz. 5) die nach § 154 Abs. 3 AO notwendige Zustimmung im Rahmen seiner Ermessensentscheidung getroffen hätte. Das soll sich nach dem (möglicherweise noch nicht bekannten) Vorhandensein steuerlicher Ansprüche richten.[10]

[1] Ebenso Jatzke, in Gosch, AO/FGO, § 72 AO Rz. 6.
[2] Ebenso Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 AO Rz. 3.
[3] Mösbauer, INF 1990, 7; BFH v. 17.2.1989, IV R 35/85, BStBl II 1990, 263.
[4] BFH v. 17.2.1989, IV R 35/85, BStBl II 1990, 263.
[5] Ebenso Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 AO Rz. 6.
[6] §§ 19, 20 AO.
[7] Ebenso AEAO, zu § 154 Nr. 7.
[8] Schwarz, DB 1970, 956.
[9] Ebenso BFH v. 17.2.1989, IV R 35/85, BStBl II 1990, 263.
[10] BFH v. 17.2.1989, IV R 35/85, BStBl II 1990, 263.

3.3 Verschulden

 

Rz. 6

Der Verstoß gegen das Auszahlungs- bzw. Herausgabeverbot muss vorsätzlich oder grob fahrlässig geschehen sein. Anders als nach § 163 Abs. 3 RAO begründet einfache Fahrlässigkeit die Haftung nicht. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem besonders starken Maß außer Acht lässt.[1] Der Verstoß gegen das Gebot der Kontenwahrheit muss sich dem Kontenführer bzw. Pfandgläubiger oder Verwahrer geradezu aufdrängen. Eine Bank, die für einen ehemaligen Verfügungsberechtigten eines fremden Bankkontos Zahlungsvorgänge dieses ehemaligen Verfügungsberechtigten aus eigenen Geschäften für seine eigene Rechnung abwickelt, handelt grob fahrlässig und haftet daher nach § 72 AO, soweit sie das Bankkonto nicht sperrt, sondern Guthaben ohne Zustimmung des FA ausbezahlt, obwohl die Bank weiß, dass das ursprüngliche Konto im Verkehr nicht mehr existiert.[2] Vorsatz ist wissentliches und willentliches Verhalten in Kenntnis der Tatsache, dass das Herausgeben eine Pflichtwidrigkeit bedeutet.[3] Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit braucht sich nur auf das Verbot der Herausgabe ohne Zustimmung des Finanzamts zu beziehen. Nicht erforderlich ist, dass sie sich auf das Bestehen von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richten, deren Verwirklichung beeinträchtigt werden könnte. Es ist denkbar, dass sich das Verschulden auf einen Teil der Herausgabe beschränkt oder das Fehlen der Zustimmung nicht die Finanzämter aller Verfügungsberechtigten betrifft. Ein Mitverschulden der Finanzbehörde ist denkbar und kann die Haftung ganz oder teilweise ausschließen. Das kann z. B. dadurch geschehen, dass sich di...

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