Rz. 65

§ 393 Abs. 3 S. 2 AO erstreckt i. V. m. § 413 AO diese Verwertbarkeit auch auf die Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG unterliegen, soweit die Finanzbehörde diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat oder nach den Vorschriften der StPO Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf. Soweit die Offenbarungsbefugnis nur gegenüber dem durch die Tat Verletzten besteht, ist dies bei Steuerstraftaten der Fiskus, dessen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis geschädigt worden ist.

 

Rz. 65a

Erkenntnisse i. S. d. § 393 Abs. 3 S. 2 AO sind im Regelfall solche aus einer Telefonüberwachung. Zu deren Anordnung bedarf es einer richterlichen Entscheidung.[1] Sie darf nach § 100a Abs. 2 Nr. 2 StPO bei Steuerstraftaten nur angeordnet werden bei Verdacht einer Steuerhinterziehung in großem Ausmaß, sofern der Täter als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Steuerverkürzungen verbunden hat, gehandelt hat[2], oder bei der bandenmäßig begangenen Umsatz- oder Verbrauchssteuerverkürzung[3], bei gewerbsmäßigem, gewaltsamem und bandenmäßigem Schmuggel nach § 373 AO oder in Fällen der Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 2 AO. Die Möglichkeit einer Telekommunikationsüberwachung[4] wegen des Verdachts einer bandenmäßigen Steuerverkürzung großen Ausmaßes wurde im Zuge der Aufarbeitung der sog. Cum/Ex-Fälle in das Gesetz aufgenommen und erfasst nicht nur den Bereich der Umsatzsteuern, sondern nunmehr sämtliche Steuerarten.[5] Darüber hinaus dürfte es sich damit um den praktisch größten Anwendungsfall handeln.[6] Selbst wenn die Finanzbehörde i. S. d. § 386 AO das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren bei solch schwerwiegenden Taten i. d. R. nicht selbstständig führt, sondern an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat[7], so ist sie doch grundsätzlich mit der Durchführung der Ermittlungen und damit der praktischen Ausführung und Auswertung der Telefonüberwachung betraut, sodass sie die Erkenntnisse auf diesem Wege erlangt.[8]

 

Rz. 65b

Die Verwertung von Zufallserkenntnissen über Steuerstraftaten anlässlich der Ermittlung von Allgemeindelikten i. S. d. § 393 Abs. 3 S. 2, 2. Var. AO kommt dann in Betracht, wenn diese im Rahmen anderweitiger Ermittlungen gegen den Stpfl. erlangt werden und die Auskunft nach den Vorschriften der StPO an die Finanzbehörde erteilt werden darf. Unklar ist, welche strafprozessualen Vorschriften der Gesetzgeber damit meinte. Während der BFH §§ 474, 477 StPO entsprechend anwenden will[9], stellt ein anderer Teil auf § 406e StPO als Befugnisnorm für die Mitteilung an die Finanzbehörden ab.[10] Die besseren Argumente sprechen gegen den BFH und für die Anwendung des § 406e StPO als Befugnisnorm.[11] So hat der Gesetzgeber bei der Einführung von § 393 Abs. 3 AO den Fiskus als Verletzten von Steuerstraftaten angesehen und wollte die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch den Verletzten gleichstellen.[12] Werden diese Erkenntnisse an die Finanzbehörde erteilt, so können sie für die Festsetzung sämtlicher in Betracht kommender Steuerarten verwertet werden, eine Beschränkung auf Katalogtaten i. S. d. § 100a Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StPO ist nicht gegeben.[13] Anders liegt der Fall, wenn die Zufallserkenntnisse aus einem Allgemeinverfahren gegen einen Dritten stammen und für die Besteuerung eines anderen erteilt werden.[14] In diesem Fall kommt eine Verwendung für Zwecke der Besteuerung nur dann in Betracht, wenn der Stpfl. selbst eine Katalogtat i. S. d. § 100a Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StPO begangen hat, für die die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung gegenüber dem Dritten als Beweismittel dienen.[15] Dann ist eine Weitergabe zulässig und darf für sämtliche Steuerarten verwendet werden.[16]

 

Rz. 66

Durch die Verwertbarkeit der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erlangten Kenntnisse wird die Verpflichtung der Finanzbehörde zur gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steuern[17] gesichert. Voraussetzung ist die Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt worden sind, im Besteuerungsverfahren nicht besteht.[18] Ein solches lässt sich nicht zwingend in § 393 Abs. 3 AO hineinlesen, da diese Vorschrift nur die Verwendungsberechtigung bei rechtmäßig erlangten Erkenntnissen regelt, nicht aber ein Verwendungsverbot bei rechtswidrig erlangten Erkenntnissen.[19] Gleichermaßen entfalten Verstöße gegen Verfahrensvorschriften im Besteuerungsverfahren, ähnlich wie im Strafprozess, i. d. R. keine Fernwirkung.[20] Dies gilt grundsätzlich, so lange nicht vorsätzlich gegen Rechte des Beschuldigten verstoßen wird oder sonst ein schwerwiegender Verstoß gegen seine Rechte vorliegt.[21] So wiegt bei rechtswidriger Erlangung von Erkenntnissen, die dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen, der Eingriff in den Ker...

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