Rz. 43

Eines der wichtigsten Rechte des Verteidigers ist die Möglichkeit, die das Verfahren betreffenden Ermittlungsakten einzusehen.[1] Dies ist in § 147 Abs. 1 StPO ohne Einschränkung garantiert. Nur durch die vollständige Kenntnis der in diesen Akten dokumentierten Vorwürfe ist eine optimale Verteidigung erst möglich.

 

Rz. 44

Der Beschuldigte selbst hat kein entsprechendes Akteneinsichtsrecht.[2] Der Verteidiger darf seinem Mandanten auch die Originalermittlungsakten nicht zugänglich machen. Er muss dafür sorgen, dass diese unbeeinflusst und vollständig bleiben. Vorhandene Unterlagen müssen dem Zugriff des Beschuldigten entzogen werden, allein schon um eine Beweisunterdrückung zu verhindern. Allerdings kann der Verteidiger dem Beschuldigten Fotokopien einzelner Schriftstücke bzw. Aktenauszüge aushändigen.[3]

 

Rz. 45

Das Akteneinsichtsrecht erstreckt sich auf die vollständige Ermittlungsakte[4] nebst der Beweismittel, Sachverständigengutachten, Beiakten und auch auf die Auskünfte aus dem Bundeszentralregister, des Weiteren die Steuerakten des Beschuldigten sowie anderer Personen, soweit der Akteninhalt Bezüge zu dem Strafverfahren aufweist und § 30 AO beachtet wird.[5] Nicht der Akteneinsicht unterliegen behördeninterne Vorgänge, wie etwa Handakten der Staatsanwaltschaft und auch der Finanzbehörde.[6] Dies gilt gleichermaßen für Prüferhandakten, seien es solche des Außenprüfers, seien es solche des Steuerfahndungsprüfers.[7] Dies gilt allerdings nur, soweit sich darin nicht verfahrensrelevante Unterlagen befinden, die nicht auch in den Ermittlungsakten abgelegt sind.[8]

 

Rz. 46

Die Akteneinsicht erfolgt regelmäßig, einen entsprechenden Antrag vorausgesetzt, durch Übersendung der Unterlagen in die Praxisräume des Verteidigers.[9] Beweismittel kann der Verteidiger in den Räumen der Staatsanwaltschaft lediglich "besichtigen"[10] und sich ggf. Abschriften bzw. Kopien der Beweisunterlagen aushändigen lassen.[11]

 

Rz. 47

Vor Abschluss der Ermittlungen darf eine Akteneinsicht versagt werden, wenn diese den Ermittlungszweck gefährden könnte.[12] Dies ist der Fall, wenn z. B. aus den Akten ein bevorstehender Durchsuchungstermin entnommen werden kann.

Die Verweigerung der Akteneinsicht kann nicht gerichtlich – insbesondere auch nicht nach den §§ 23ff. EGGVG – überprüft werden, da es sich um eine reine Prozesshandlung handelt.[13] Besondere Konstellationen der Anfechtbarkeit der Versagung nach § 147 Abs. 5 StPO kommen jedenfalls im Verfahren der Finanzbehörde regelmäßig nicht in Betracht.

 

Rz. 48

Ist der Abschluss der Ermittlungen nach § 169a StPO in den Akten vermerkt, muss einem Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht gefolgt werden. Grundsätzlich immer ist aber Einblick in Niederschriften über Vernehmungen des Beschuldigten zu gewähren. Auch darf der Verteidiger stets Sachverständigengutachten einsehen, sobald diese vorliegen, und Protokolle über richterliche Untersuchungshandlungen zur Kenntnis nehmen, bei denen er ein Anwesenheitsrecht hat.[14] Hierzu zählen die richterliche Beschuldigtenvernehmung oder die richterliche Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen.[15]

[1] Burkhard, wistra 1996, 171.
[2] Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 147 StPO, Rz. 3 m. w. N.
[3] OLG Frankfurt v. 10.11.1980, (2) 3 Ws 800/80, NStZ 1981, 144; vgl. in diesem Zusammenhang OLG Zweibrücken v. 8.10.1976, Ws 186/76, NJW 1977, 1699.
[4] BVerfG v. 7.12.1982, 2 BvR 900/82, wistra 1983, 105.
[5] Vgl. zum Umfang des Akteneinsichtsrechts BGH v. 10.10.1990, 1 StE 8/89 StB 14/90, NJW 1991, 438; ausführlich Heerspink, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 392 AO Rz. 391ff. m. w. N.
[6] Nr. 35 Abs. 4 AStBV (St) 2023; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 147 StPO Rz. 13 m. w. N.
[7] Klein/Jäger, AO, 16. Aufl. 2022, § 392 Rz. 15.
[8] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 392 AO Rz. 40.
[9] Vgl. § 147 Abs. 4 StPO; Willnow, in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 147 StPO Rz. 10.
[11] Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 147 StPO Rz. 30.
[12] § 147 Abs. 2 StPO; OLG Frankfurt v. 10.6.2003, 2 Ws 01/03, NStZ 2003, 566.
[13] OLG Saarbrücken v. 20.7.1994, VAs 8/94, wistra 1994, 362; BVerfG v. 27.5.1993, 2 BvR 744/93, NStE Nr. 15 zu § 23 EGGVG; Klein/Jäger, AO, 16. Aufl. 2022, § 392 Rz. 30.

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