Rz. 38

Nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO kann die Staatsanwaltschaft die Strafsache jederzeit an sich ziehen. Wie die Abgabe durch die Finanzbehörde nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO hat die Bestimmung nur dann Bedeutung, wenn die selbstständige Ermittlungskompetenz nach § 386 Abs. 2, 3 AO besteht. Hat die Finanzbehörde kein selbstständiges Ermittlungsrecht, so ist die Staatsanwaltschaft ohnehin Herrin des Ermittlungsverfahrens und die Finanzbehörde ein unselbstständiges, weisungsabhängiges Ermittlungsorgan, sodass die Staatsanwaltschaft bereits nach §§ 160, 161 StPO befugt ist, die Sache in jedem Stadium des Verfahrens zu übernehmen.[1] Dies ist keine Evokation nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO.[2]

 

Rz. 39

Die Evokation nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO durch die Staatsanwaltschaft bewirkt den Verlust ihrer selbstständigen Rechtsstellung für die Finanzbehörde. Diese kann nunmehr weitere Ermittlungshandlungen im Rahmen ihrer allgemeinen Ermittlungskompetenz nur noch im Auftrag der Staatsanwaltschaft führen.[3] Durch das umfassende Evokationsrecht wird die Staatsanwaltschaft in die Lage versetzt, den besonderen Umständen jedes einzelnen Ermittlungsfalls Rechnung zu tragen.[4] Hierdurch wird keine Sachaufsicht der Staatsanwaltschaft über die Finanzbehörde begründet.[5] Diese führt das Verfahren weisungsunabhängig autonom.[6] Die Staatsanwaltschaft kann sich aber, auch wenn die selbstständige Ermittlungskompetenz der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 2 AO gegeben ist, in jedes Ermittlungsverfahren einschalten und die Verfahrensleitung übernehmen. Das Evokationsrecht sichert letztlich das Ermittlungs- und Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft.[7]

 

Rz. 40

Das Evokationsrecht wird durch das Steuergeheimnis nach § 30 AO nicht eingeschränkt.[8] Legt die Finanzbehörde nach Ausübung des Evokationsrechts durch die Staatsanwaltschaft dieser die Akten vor und enthält diese Sachverhalte, deren Offenbarung unbefugt erfolgt ist, so hat die Staatsanwaltschaft das ggf. nach § 393 Abs. 2 AO bestehende Verwendungsverbot von Amts wegen zu beachten.[9]

Die Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft muss jedoch auf das dem Steuergeheimnis genügende Maß begrenzt werden.[10] Übergeben werden dürfen alle Aktenbestandteile, die für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft erforderlich sind. Die Entscheidung trifft der das Steuergeheimnis offenbarende Amtsträger. Im Zweifel ist die Befugnis zur Offenbarung eher weit auszulegen.

[1] Giesbaum, in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 163 StPO Rz. 3.
[3] Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 386 Rz. 15.
[4] Vgl. BT-Drs. V/1812, 21; OLG Stuttgart v. 4.2.1991, 3 Ws 21/91, wistra 1991, 190; LG Frankfurt v. 15.2.1993, 5/29 Qs 2/93, wistra 1993, 154.
[5] Peters, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 386 AO Rz. 135, 152; Wannemacher/Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 386 AO Rz. 32.
[7] Scheu, wistra 1983, 136.
[8] Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 386 AO Rz. 73 m. w. N.
[10] Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 386 Rz. 14.

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