Rz. 25

Im Einzelnen müssen für die Anwendung des § 376 Abs. 1 AO die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:

3.1 Zeitlicher Anwendungsbereich

 

Rz. 26

Nach Art. 97 § 23 EGAO i. d. F. des JStG 2009 gilt die 10-jährige Verjährungsfrist gem. § 376 Abs. 1 AO für alle Fälle, in denen bei Inkrafttreten des Gesetzes – am 25.12.2008 – die alte, fünfjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Die aktuelle, seit 29.12.2020 von 10 auf 15 Jahre verlängerte Verjährungsfrist wiederum gilt für alle zu diesem Stichtag noch nicht verfolgungsverjährten Vergehen der Steuerhinterziehung, bei denen die Tatbestandsmerkmale eines "besonders schweren" Falls i. S. v. § 370 Abs. 3 S. 2 Nrn. 1-6 AO verwirklicht sind.[1]

[1] Ebner, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 376 AO Rz. 17, 17a; s. auch Rz. 21f.

3.2 Materieller Anwendungsbereich

 

Rz. 27

Nach § 376 AO muss ein benannter schwerer Fall der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Nr. 1–6 AO vorliegen. Auf sog. unbenannt schwere Fälle der Steuerhinterziehung findet die Vorschrift keine Anwendung.[1] Für die Frage der Verjährung ist dabei ausreichend, dass die Taten höchstwahrscheinlich i. S. d. dringenden Tatverdachts den Anforderungen von § 370 Abs. 3 S. 2 AO in der jeweils aktuell geltenden Fassung genügen.[2]

 

Rz. 28

Dabei ist Folgendes zu beachten: Es wurde § 370 Abs. 3 AO durch Art. 3 Nr. 2 des Telekommunikationsgesetzes v. 21.12.2007[3] mit Wirkung zum 1.1.2008 neu gestaltet: Während vorher für die Verwirklichung des besonders schweren Falles nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO das subjektive Element des "groben Eigennutzes" Voraussetzung war, ist dies nunmehr entfallen. Der besonders schwere Fall nach Nr. 1 setzt nur noch die Steuerhinterziehung in einem großen Ausmaß[4] voraus. Zudem wurden die Regelbeispiele der Nr. 5 (Handeln als Mitglied einer Bande) und der Nr. 6 (Nutzung einer Drittstaat-Gesellschaft zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen) erst später geschaffen. Im Rahmen der Verjährungsberechnung ist dabei stets nur zu prüfen, ob das Regelbeispiel nach neuem Recht vorliegt[5] und es kommt die fünfzehnjährige Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO zur Anwendung, obwohl die Tat zum Zeitpunkt der Tatbegehung keines der Regelbeispiele des § 370 Abs. 3 S. 2 AO a. F. erfüllt hat.[6] Weiter ist nur entscheidend, ob ein Regelbeispiel eines besonders schweren Falls verwirklicht ist, nicht, ob sich die Tat nach der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände im konkreten Einzelfall als besonders schwer darstellt.[7]

Maßgeblich ist allein, dass die Voraussetzungen des § 376 Abs. 1 AO erfüllt sind und die Tat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verjährungsvorschrift noch nicht verjährt war.[8] Für diese Auslegung spricht, dass Art. 97 § 23 EGAO nicht zwischen den einzelnen Regelbeispielen differenziert, obwohl erst ein Jahr zuvor der Anwendungsbereich des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO erweitert und das Regelbeispiel der bandenmäßigen Steuerhinterziehung in Nr. 5 begründet wurde. Art. 97 § 23 EGAO stellt trotz dieser Umstände allein darauf ab, dass die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen sein darf. Dies spricht dafür, dass eine einheitliche Verjährungsfrist bezüglich aller Regelbeispiele – unabhängig davon, ob sie bereits bei Tatbegehung galten – geschaffen werden sollte.[9]

 

Rz. 29

Der BGH hat mit Urteil v. 27.10.2015[10] entschieden, dass ein besonders schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO, also eine Steuerhinterziehung in großem Ausmaß, bereits ab einem Verkürzungsbetrag von 50.000 EUR vorliegt. Diese Änderung der Rechtsprechung kann dazu führen, dass Fälle, die vor dem genannten BGH-Urteil als verjährt anzusehen waren, nunmehr noch strafrechtlich verfolgbar sind. Dem steht auch nicht das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen, da die Verjährung nicht vom Rückwirkungsverbot erfasst ist und zudem hier die Rechtsprechung nur ihre Auslegung bei gleichbleibendem Gesetzeswortlaut geändert hat.[11]

 

Rz. 29a

Gegen diese Auslegung und die typisierende Anknüpfung der Verjährungsregelung des § 376 Abs. 1 AO sprechen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.[12] Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG besagt nichts über den Zeitraum, während dessen eine in verfassungsgemäßer Weise für strafbar erklärte Tat verfolgt und durch Verhängung der angedrohten Strafe geahndet werden darf. Es verhält sich nur über das "von wann an" nicht über das "wie lange" der Strafverfolgung. Demgemäß gibt es auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand einer für einen Angeklagten günstigen Verjährungsregelung. Voraussetzung für eine rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfrist ist lediglich, dass die Taten bei Änderung der Verjährungsvorschrift noch nicht verjährt waren.

 

Rz. 30

Dringender Tatverdacht genügt; ob die Indizwirkung des Regelbeispiels im Rahmen der Strafzumessung wegen etwaig anderer vorliegender Strafmilderungsgründe entfällt, ist für die Berechnung der Verjährung unerheblich.[13] Nach der Rechtsprechung des BGH steht der Indizwirkung des Regelbeispiels nicht entgegen, dass die Tat lediglich versucht wur...

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