Rz. 345

Die Rechtsnatur der aus § 371 Abs. 3 AO folgenden Nachentrichtungspflicht ist in der Lit. umstritten. Der Meinungsstreit wirkt sich vornehmlich im Rahmen der Fristsetzung (Rz. 348ff.) aus.

Es wird einerseits die Ansicht vertreten, dass es sich in der Nachentrichtungsfrist um eine steuerliche Frist handle.[1] Diese Ansicht hat – bei konsequenter Durchführung – den Vorteil der Rechtsklarheit. Denn es ist nur eine einheitliche Frist maßgebend. Der Stpfl. kommt nicht in die schwer verständliche Situation, dass er strafrechtlich etwas entrichten muss, was er steuerrechtlich nicht (z. B. mangels Festsetzung) oder noch nicht (z. B. bei Stundung oder Aussetzung der Vollziehung) zu leisten hat.

 

Rz. 346

Andererseits wird die Ansicht vertreten, dass infolge der Einordnung der Vorschrift in § 371 AO und der strafrechtlichen Auswirkungen die Nachentrichtungspflicht einen strafrechtlichen Rechtscharakter habe. Diese Ansicht überwiegt im Schrifttum eindeutig[2] und ist von der Rspr. übernommen worden.[3]

 

Rz. 347

Letzterer Ansicht ist zuzustimmen. Der staatliche Strafanspruch ist nicht absolut, so kann z. B. im Rahmen des § 153a StPO auf die Durchsetzung verzichtet werden, indem durch das Gericht dem Tatbeteiligten die Schadenswiedergutmachung auferlegt wird. An dem strafrechtlichen Charakter dieser Auflage gem. § 153a StPO bestehen keine Zweifel. Die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO ist inhaltlich einer solchen Auflage ähnlich, nur dass sie bereits als solche im Gesetz bestimmt ist. Darüber hinaus ist die Fristsetzung kein Bestandteil des steuerlichen Verfahrens, sondern sie erfolgt als Teil des regelmäßig aufgrund der Selbstanzeige eingeleiteten Strafverfahrens.

 
Praxis-Beispiel

Der Stpfl. T hat Steuern hinterzogen, indem er in seiner Einkommensteuererklärung 2016 einige Einnahmen nicht erklärt hat. Nachdem er den unzutreffenden Steuerbescheid erhalten hat, gibt er eine vollständige Selbstanzeige ab. Daraufhin ergeht ein nun zutreffender Steuerbescheid für die ESt 2016. Als der T die sich aus diesem Bescheid ergebende Steuer innerhalb der gesetzten Zahlungsfrist nicht entrichtet, gibt das Festsetzungsfinanzamt den Fall an die Bußgeld- und Strafsachenstelle mit dem Hinweis ab, dass T keine Straffreiheit mehr erlangen könne, da er nicht fristgerecht nachgezahlt habe.

Die von Seiten des Festsetzungsfinanzamt geäußerte Ansicht ist unzutreffend, da es sich bei der vom FA gesetzten Frist um eine ausschließlich steuerliche Frist handelt. Die strafrechtliche Frist des § 371 Abs. 3 AO kann hingegen ausschließlich von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden – hier also von der Bußgeld- und Strafsachenstelle (vgl. dazu Rz. 348ff.) – gesetzt werden. Mithin ist eine solche Frist im vorliegenden Fall nun erstmalig zu setzen und erst wenn der T auch diese Frist versäumt, verliert er seine Anwartschaft auf Straffreiheit.

[1] So noch Rüping, in HHSp, AO/FGO, 230. Lfg. 11/14, § 371 AO Rz. 112; Wassmann, ZfZ 1990, 40, 43.
[2] Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 225; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 163 f.; Kemper, in Rolletschke/ Kemper, Steuerstrafrecht, 109. Lfg. 10/17, § 371 AO Rz. 440; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 348; App, DStR 1987, 37; Rolletschke, DStZ 1999, 287; Schumann, DStZ/A 1978, 48; Theil, BB 1983, 1274, 1279.
[3] BFH v. 22.1.1992, I B 77/91, BStBl II 1992, 618; BFH v. 17.12.1981, IV R 94/77, BStBl II 1982, 352; BFH v. 23.12.1980, VII R 92/72, BStBl II 1981, 349; OLG Karlsruhe v. 22.12.2006, 3 Ss 129/06, NStZ-RR 2007, 147; FG München v. 15.2.1977, II 229/76 AO, EFG 1977, 384; LG Stuttgart v. 20.1.1987, 6 KLs 243/86, wistra 1988, 37; LG Hamburg v. 18.6.1986, (50) 117/86 Ns, wistra 1988, 120.

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