2.4.2.1 Anhängigkeit des Steuerstrafverfahrens

 

Rz. 125

Die Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) hat strafrechtlichen Charakter (Rz. 148). Die Begründung der Nachentrichtungspflicht setzt zwingend, ohne dass es im Gesetz ausdrücklich erwähnt werden musste, voraus, dass überhaupt ein Verfahren anhängig ist, in dem über die Strafbarkeit des Geschehens zu entscheiden ist[1]. Dies ist das strafrechtliche Erkenntnisverfahren (Vor §§ 385–408 AO Rz. 2). Die Wertung der Erklärung als "Selbstanzeige" strafrechtlichen Verhaltens (Rz. 5) hat regelmäßig die Einleitung des Strafverfahrens zur Folge (Rz. 11).

 

Rz. 126

Die "Selbstanzeige" bewirkt allerdings nicht, dass die Staatsanwaltschaft oder die Finanzbehörde (Rz. 12) auch dann zur Einleitung gezwungen ist, wenn von vornherein ein Einstellungsgrund zu erkennen ist (Rz. 14). In gleicher Weise muss die Verfahrenseinstellung nach Einleitung erfolgen, wenn sich ein zwingendes strafprozessuales Verfahrenshindernis, z. B. die Strafverfolgungsverjährung (§ 369 AO Rz. 85b), ergibt (Rz. 15; § 398 AO Rz. 3). Eine Entscheidung über die Strafbarkeit ist dann nicht mehr zulässig, sodass auch die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO entfällt. Die steuerlichen Zahlungspflichten werden hierdurch nicht berührt.

[1] A. A. wohl Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 87.1.

2.4.2.2 Tatbeteiligung

 

Rz. 127

Nach § 371 Abs. 3 AO besteht die Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) "für einen an der Tat Beteiligten", gegen den das Ermittlungsverfahren geführt wird (Rz. 125), also für den Beschuldigten oder Angeklagten (Vor §§ 385–408 AO Rz. 13). Diese Formulierung hat ausschließlich insofern klarstellende Bedeutung, als die Form der Tatbeteiligung (§ 369 AO Rz. 48) für die Begründung der Nachentrichtungspflicht unerheblich ist (Rz. 29). Die Nachentrichtungspflicht besteht dem Grunde nach für den Täter in jeder strafrechtlichen Form der Täterschaft, für den Gehilfen und für den Anstifter der Steuerhinterziehung (§ 370 AO Rz. 11, 26).

Die Nachentrichtungspflicht besteht nicht für einen Tatunbeteiligten, dessen Anzeige auch nicht als "Selbstanzeige" qualifiziert werden kann (Rz. 29).

2.4.2.3 Vollendete Steuerhinterziehung

 

Rz. 128

Nach § 371 Abs. 3 AO setzt die Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) ferner voraus, dass Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt sind. Die Steuerhinterziehung muss also vollendet (§ 370 AO Rz. 150) sein[1].

Bei dem Versuch der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 2 AO (§ 370 AO Rz. 135) bewirkt allein die "Selbstanzeigeerklärung" die Straffreiheit. Da noch kein Schaden eingetreten ist, ist eine Wiedergutmachung nicht erforderlich[2].

[1] Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 100; zum Fortbestand der Nachentrichtungspflicht s. Rz. 139.
[2] Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 87; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 98.

2.4.2.4 Hinterziehung zu seinen Gunsten

 

Rz. 129

Durch § 371 Abs. 3 AO wird eine Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) nur für den die "Selbstanzeige" erstattenden Tatbeteiligten einer vollendeten Steuerhinterziehung hinsichtlich der zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern begründet.

2.4.2.4.1 Selbstanzeigender als Steuerschuldner

 

Rz. 130

Zweifelsfrei ist derjenige Tatbeteiligte nachentrichtungspflichtig, der zu eigenem unmittelbarem steuerlichen Vorteil hinterzogen hat, dessen eigene Steuerschuld durch die Tat vermindert worden ist[1]. Hier ist der Tatbeteiligte selbst Steuerrechtssubjekt in dem durch die Tat betroffenen Steuerpflichtverhältnis (§ 33 AO Rz. 39).

[1] § 370 AO Rz. 18; Joecks, in Franzen/Gast/­Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 98; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 101; a. A. lediglich Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 371 AO Rz. 53, der hier Zahlungsfähigkeit und Vollstreckungsmöglichkeit abstellen will.

2.4.2.4.2 Dritter als Steuerschuldner

 

Rz. 130a

Zweifelhaft ist dagegen die Nachentrichtungspflicht (Rz. 123), wenn sich die Steuer­hinterziehung in einem Steuerpflichtverhältnis[1] auswirkt, an dem der Tat­beteiligte nicht Beteiligter i. S. v. § 78 AO ist, er also auch nicht Steuerschuldner des hinterzogenen Betrags ist, sondern nur als Haftungsschuldner nach §§ 70, 71 AO in Betracht kommt. Ausgehend vom Wortlaut des § 371 Abs. 3 AO und der Systematik des § 370 AO wird einmal die – für den Tatbeteiligten sehr günstige und deshalb aus strafrechtlicher Sicht nicht in jedem Fall befriedigende – Ansicht vertreten, dass ausschließlich ein unmittelbarer steuerlicher Vorteil die Nachentrichtungspflicht begründen kann[2].

 
Praxis-Beispiel

Der Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer einer Einmann-GmbH hinterzieht zugunsten der GmbH betriebliche Steuern. Nach steuerrechtlicher Betrachtungsweise hat er selbst keinen Steuervorteil erlangt und ist demgemäß insoweit allein durch die "Selbstanzeigehandlung" nach § 371 Abs. 1 AO straffrei.

 

Rz. 131

Demgegenüber vertritt die h. M. die Ansicht, dass nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen ist, wer zu seinen Gunsten hinterzogen hat. Nachentrichtungspflichtig ist danach derjenige, der durch die Tat einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat[3].

Hinsichtlich des Inhalts des Begriffs "wirtschaftlicher Vorteil" werden vielfältig modifizierte Ansichten vertreten, sodass hier ein unsicheres und strafrechtl...

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