Rz. 33

Man unterscheidet zwischen drei Vorsatzformen, die sich nach der jeweiligen Art der Vorstellung und des Willens unterscheiden. Die erste grundlegende Unterscheidung ist diejenige zwischen unbedingtem bzw. direktem Vorsatz einerseits und bedingtem Vorsatz andererseits, der im Hinblick auf den Taterfolg "bedingt" sein muss. Der direkte Vorsatz wird wiederum in zwei Stufen unterschieden, den direkten Vorsatz 1. und 2. Grades.

Enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung, reicht – wie z. B. bei § 370 AO – jede Form des Vorsatzes aus.

 

Rz. 34

Der direkte Vorsatz 1. Grades (Absicht / dolus directus 1. Grades) ist gegeben, wenn der Täter den Erfolg als sein (Zwischen-)Ziel erstrebt.[1] Der Täter handelt somit wissend-planmäßig und man könnte seinen Gedanken mit der Kurzformel beschreiben: "Das will ich".

 
Praxis-Beispiel

Der Täter hat eine Scheinfirma aufgebaut, um ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen zu erlangen. Es ist insoweit unerheblich, ob der Täter sicher oder nur möglicherweise mit Vorsteuererstattungen rechnet, da er die Erstattung als Ziel anstrebt.

Folglich tritt das Wissenselement zurück hinter dem direkt auf die Zielerreichung gerichteten Willen, so dass es gleichgültig ist, ob die Tatbestandsverwirklichung nur für möglich gehalten wird.

 

Rz. 35

Direkter Vorsatz 2. Grades (dolus directus 2. Grades) liegt vor, wenn der Täter eigentlich ein anderes Ziel erreichen will, er aber weiß oder als sicher annimmt, dass sein Verhalten als Nebenfolge auch einen (Steuer-)Strafbestand erfüllt. Insoweit ist es ohne Bedeutung, ob der Täter dem Erfolg positiv oder ablehnend gegenüber steht.[2] Der Täter handelt somit zwar auch wissend-planmäßig, seinen grundlegenden Gedanken könnte man hingegen mit der Kurzformel "so mache ich es" beschreiben. In dieser Variante tritt das Willenselement zurück, so dass es gleichgültig ist, ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung anstrebt, da er die Verwirklichung als sicher voraussieht.

 
Praxis-Beispiel

M legt Geld auf einem seiner Frau F unbekannten Konto in der Schweiz an, da er mit dem Gedanken spielt, sich von ihr scheiden zu lassen. In der Steuererklärung gibt er vorsorglich seine Kapitalerträge nicht an, damit F auch nichts davon erfährt. M ist sich bewusst, dass er dadurch eine Steuerhinterziehung begeht. Da er die Steuerverkürzung als sicher voraussieht, handelt M im Hinblick auf § 370 AO mit direktem Vorsatz 2. Grades.

 

Rz. 36

Eventualvorsatz (dolus eventualis) ist gegeben, wenn der Täter sich bzgl. des Erfolgseintritts zwar unsicher ist, ihn aber für möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt.[3] Der Täter handelt somit wissend-gleichgültig, seinen grundlegenden Gedanken könnte man mit der Kurzformel "na wenn schon" beschreiben. Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine Billigung in diesem Sinne schon gegeben sein, wenn der Täter den Erfolgseintritt für möglich hält und trotzdem handelt, selbst wenn ihm der Erfolgseintritt unerwünscht ist.[4]

 
Praxis-Beispiel

Der Täter hat Einkünfte aus einer nebenberuflichen Unterrichtstätigkeit. Diese Einkünfte gibt er steuerlich nicht an, obwohl er sich bezüglich ihrer Steuerfreiheit nicht sicher ist. In diesem Fall rechnet der Täter damit, dass es möglicherweise zu einer Steuerverkürzung kommen könnte, handelt aber trotzdem, indem er die entsprechenden Angaben unterlässt.

 

Rz. 37

Eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung setzt somit (mindestens) voraus, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält (kognitives Element) und dies billigend in Kauf nimmt (voluntatives Element).[5]

 
Hinweis

In der Praxis ist zu beachten, dass die Grenzen des Eventualvorsatzes sehr weit gezogen werden. Gericht und Strafverfolgungsorgane gehen i. d. R. davon aus, dass eine Steuerverkürzung zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Etwas anderes gilt nur in eklatanten Ausnahmefällen und wenn das Verhalten des Beschuldigten einer im steuerrechtlichen Schrifttum oder in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht entspricht, so z. B. bzgl. der Beurteilung bestimmter Umsätze als steuerfrei.

[1] BGH v. 18.7.1979, 2 StR 114/79, BGHSt 29, 68, 73; BGH v. 21.12.1955, 6 StR 113/55, BGHSt 9, 147; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 15 StGB Rz. 8.
[2] BGH v. 12.7.2005, 1 StR 65/05, NStZ-RR 2006, 174, 175; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 15 StGB Rz. 9.
[3] BGH v. 15.11.1994, 5 StR 237/94, wistra 1995, 69; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 15 StGB Rz. 11; zu den vielfältigen Definitionen in Rspr. und Lit. vgl. ebenda Rz. 12ff.
[4] BGH v. 4.11.1988, 1 StR 262/88, BGHSt 36, 9; BGH v. 14.7.1994, 4 StR 335/94, NStZ 1994, 584; BGH v. 9.4.1997, 3 StR 612/96, NStZ 1997, 434.

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