Rz. 68

Das Einspruchsverfahren wird anhängig und damit in Gang gesetzt, sobald der Einspruch bei einer der in § 357 Abs. 2 S. 1 –3 AO genannten Einlegungsbehörden "eingelegt", "eingereicht" oder "angebracht" wurde. Diese in § 357 AO verwendeten unterschiedlichen Formulierungen sind synonym[1] und bedeuten, dass der Einspruch mit Wissen und Wollen des Stpfl. tatsächlich in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt.[2]

 

Rz. 68a

Das Einspruchsverfahren wird unabhängig von der Zulässigkeit des EInspruchs anhängig.[3] Die Frage der Zulässigkeit ist von der Finanzbehörde nach § 358 AO im Laufe des Einspruchsverfahrens zu prüfen.

 

Rz. 69

Der Einspruch ist nach seiner Einlegung nicht widerrufbar. Ein Widerruf ist nur möglich, wenn er vor oder gleichzeitig mit dem Einspruch bei der Einlegungsbehörde eingeht.[4] Ebenso wenig kann die Einlegung des Einspruchs z. B. wegen Irrtums angefochten werden.[5] Der Einspruchsführer kann die Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens aber durch Rücknahme des Einspruchs nach § 362 AO beenden. Der Widerruf oder die Anfechtung der Einspruchseinlegung kann als Rücknahme des Einspruchs ausgelegt werden, wenn der Stpfl. damit zu verstehen gibt, dass er keine Einwendungen gegen den angefochtenen Verwaltungsakt mehr vorbringen möchte und dieser doch nicht von der Finanzbehörde überprüft werden soll.

 

Rz. 70

Die Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens hat entsprechend § 17 Abs. 1 S. 2 GVG zur Folge, dass der Stpfl. gegen denselben Verwaltungsakt keinen weiteren Einspruch einlegen kann. Allerdings besteht in Rechtsprechung und Literatur kein Einvernehmen darüber, wie mit dem erneut eingelegten Einspruch zu verfahren ist.

Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs[6] und eines Teils der Kommentarliteratur[7] handelt es sich um ein und denselben Einspruch, wenn gegen denselben Verwaltungsakt wiederholt ein Einspruch eingelegt wird, bevor über die erste Einlegung entschieden wurde. Es hat dann über diesen eine einheitliche Entscheidung zu ergehen.

Dagegen wird von vereinzelten FGs[8] und einem anderen Teil der Kommentarliteratur[9] vertreten, der wiederholt eingelegte Einspruch sei unzulässig. Folglich wäre er nach § 358 AO durch Einspruchsentscheidung als unzulässig zu verwerfen.

Die beiden Auffassungen dürften in den meisten Fällen tatsächlich zu keinen größeren Unterschieden führen. Denn wenn der erste Einspruch zulässig ist, erfolgt nach § 367 Abs. 2 S. 1 AO eine vollumfängliche Überprüfung des mit ihm angefochtenen Verwaltungsakts. Die "Angriffsrechte" des Stpfl. gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts werden somit nicht geschmälert.[10]

Etwas anderes ergäbe sich jedoch, wenn bereits der erste Einspruch unzulässig ist. In diesem Fall ist nach der zweiten Auffassung ein (eigentlich zulässiger) zweiter Einspruch wegen der Anhängigkeit des ersten Einspruchsverfahrens ebenfalls unzulässig. Zu einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts kommt es deshalb nicht. Allerdings dürfte aus eben diesem Grund eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung über den zweiten Einspruch in Betracht kommen.[11]

Geht man dagegen – wie hier – von nur einem Einspruch aus, führt das zweite Einspruchsschreiben zu einem Hineinwachsen in die Zulässigkeit des zunächst unzulässigen Einspruchs. Ein Mangel bei der Zulässigkeit des einen Einspruchs kann also durch den anderen Einspruch geheilt werden. Ungeachtet des Umstands, dass die Finanzbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt nach § 367 Abs. 2 S. 1 AO ohnehin in vollem Umfang zu überprüfen hat, sind außerdem die Ausführungen beider Einspruchsschreiben bei der Prüfung der Begründetheit zu berücksichtigen.

 

Rz. 71

Aufgrund der Einspruchseinlegung ergibt sich für die Finanzbehörde nicht nur nach § 367 Abs. 2 S. 1 AO die Pflicht, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen, sie hat auch die Entscheidungspflicht über den Einspruch, sofern das Einspruchsverfahren nicht durch eine Rücknahme oder Erledigungserklärung des Einspruchsführers beendet wird. Die Entscheidungspflicht besteht selbst bei einem unzulässigen Einspruch, der von der Finanzbehörde dann nach § 358 S. 2 AO als unzulässig zu verwerfen ist.

Wird in angemessener Zeit nicht entschieden, so besteht für den Einspruchsführer die Möglichkeit der Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO.

 

Rz. 72

Die Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens eröffnet der Finanzbehörde die rechtlich selbstständige Befugnis zur Korrektur des angefochtenen Verwaltungsakts im Rahmen des § 367 Abs. 2 AO, einschließlich der Möglichkeit einer – dem Einspruchsführer jedoch vorher anzukündigenden – verbösernden Entscheidung.

Die Einspruchseinlegung hindert die Finanzbehörde nach § 132 AO nicht an der Korrektur des angefochtenen Verwaltungsakts nach den allgemeinen Korrekturbestimmungen; der Korrekturbescheid tritt dann nach § 365 Abs. 3 AO kraft Gesetzes in das anhängige Einspruchsverfahren ein.

 

Rz. 73

Die fristgerechte Einspruchseinlegung hindert den Eintritt der Bestandskraft des angefochtenen Verwaltungsakts. Die Einlegung des z...

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