1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Bestimmung entspricht im Wesentlichen § 346 RAO.[1] Für das zivilprozessuale Vollstreckungsrecht gibt es in § 805 ZPO eine sehr ähnlich ausgestaltete Bestimmung.[2] Im Gegensatz zur Regelung in der ZPO sieht § 293 AO allerdings nicht die Möglichkeit einer Hinterlegung des Erlöses vor, da der Staat als Vollstreckungsgläubiger stets als ein sicherer Schuldner anzusehen ist.

 

Rz. 2

Inhaltlich regelt die Norm die Berücksichtigung von Rechten Dritter im Vollstreckungsverfahren in den Fällen, in denen eine Drittwiderspruchsklage nach § 262 AO ausscheidet, da sich der Dritte nicht im Besitz der Sache befindet. Dieser Personenkreis kann die Vollstreckung an sich nicht verhindern, ist aber berechtigt, eine vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös der gepfändeten Sache zu verlangen. § 293 Abs. 2 AO regelt die Zuständigkeit für eine Klage auf vorzugsweise Befriedigung und weist diese ausschließlich den ordentlichen Gerichten zu. Der Sinn der Bestimmung ist darin zu sehen, dass einerseits die Durchführung der Vollstreckung in den Fällen nicht unnötig erschwert werden soll, in denen der betroffene Dritte allein in seinen Vermögensinteressen berührt ist; andererseits soll aber auch eine gewisse Sicherheit für diesen Personenkreis geschaffen werden. Deshalb wird die vorzugsweise Befriedigung auch als mindere Widerspruchsklage bezeichnet.[3]

[1] Zu den Abweichungen s. Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 293 AO Rz. 1.
[2] Herget, in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 805 ZPO Rz. 1ff.
[3] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 293 AO Rz. 8; Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 293 Rz. 2; Koenig/Fritsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 293 Rz. 1.

2 Vorzugsweise Befriedigung

2.1 Pfand- oder Vorzugsrecht eines Dritten

 

Rz. 3

Die vorzugsweise Befriedigung nach § 293 AO erfordert zunächst, dass ein Dritter ein Pfand- oder Vorzugsrecht an einer von der Vollstreckungsbehörde gepfändeten Sache hat. Dabei gilt § 293 AO nur für die Pfändung beweglicher Sachen.[1] Als Rechte, die die Möglichkeit nach § 293 AO eröffnen, kommen insbesondere die besitzlosen Pfandrechte nach dem BGB und dem HGB in Betracht.[2] Die wichtigsten sind das Vermieterpfandrecht nach §§ 562ff. BGB, das Verpächterpfandrecht nach §§ 581, 592 BGB sowie das Pfandrecht des Frachtführers[3] und des Lagerhalters.[4] Diese besitzlosen Pfandrechte sind in § 50 InsO aufgeführt.[5] Als Vorzugsrechte kommen die in § 51 InsO genannten Rechte in Betracht.[6] Zu nennen sind vor allem die Zurückbehaltungsrechte nach § 273 BGB[7] und §§ 369ff. HGB. Schließlich gilt § 293 AO bei vertraglichen Pfandrechten, wenn der Pfandgläubiger den Besitz an der Sache verloren hat. Das Sicherungseigentum fällt nicht hierunter, da es ein die Veräußerung hinderndes Recht ist und zum Widerspruch nach § 262 AO berechtigt.[8]

[1] Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 293 Rz. 3; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 293 AO Rz. 2; Koenig/Fritsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 293 Rz. 2.
[2] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 293 AO Rz. 9; Fischer, in Leopold/Madle/Rader, AO, § 293 AO Rz. 3.
[3] § 441 HGB; vgl. C. Schmidt, in MüKoHGB, 4. Aufl. 2020, § 440 HGB Rz. 6ff.
[4] § 475b HGB; Hesse, in MüKoHGB, 4. Aufl. 2020, § 475b HGB Rz. 5ff.
[6] Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 292 Rz. 6; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 293 AO Rz. 4.
[7] Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 273 BGB Rz. 1ff.
[8] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 293 AO Rz. 3.

2.2 Nichtbesitz des Dritten

 

Rz. 4

Zweite Voraussetzung für § 293 AO ist, dass der Dritte keinen Besitz an der gepfändeten Sache hatte. Ausreichend ist dabei neben dem unmittelbaren auch der mittelbare Besitz.[1] Hat der Dritte Besitz an der Sache, kommt hingegen eine Klage nach § 262 AO in Betracht.[2] Dem Besitz in seinen rechtlichen Wirkungen gleichgestellt ist das Verfügungsrecht, das sich aufgrund eines kaufmännischen Traditionspapiers ergibt.[3]

[1] Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 293 Rz. 2; Koenig/Fritsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 293 Rz. 4.
[3] Konnossement, Ladeschein, Lagerschein; Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 293 AO Rz. 7.

2.3 Durchführung der vorzugsweisen Befriedigung

 

Rz. 5

Die vorzugsweise Befriedigung berechtigt den Inhaber des Rechts dazu, eine Befriedigung aus dem Reinerlös auch dann zu verlangen, wenn seine Forderung noch nicht fällig ist.[1] Hierzu hat er zunächst einen Antrag auf Berücksichtigung seines Rechts an die Vollstreckungsstelle zu stellen, die über seine Einwendungen unverzüglich zu entscheiden hat.[2] Die Verwertung der Pfandsache an sich kann der Inhaber des Rechts nicht verhindern. Diese wird von der Vollstreckungsstelle nach den allgemeinen Grundsätzen betrieben. Steht der Erlös fest, sind die Kosten der Verwertung zunächst vom Erlös abzuziehen. Aus dem dann feststehenden Erlös, auch Rein- oder Nettoerlös genannt, ist der Inhaber des Rechts vor den anderen Gläubigern zu befriedigen.[3] Ist die Forderung des Dritten bei vorzugsweiser Befriedigung noch nicht fällig, muss eine Abzinsung erfolgen. Der Zinssatz richtet sich nach § 288 BGB.[4]

 

Rz. 6

Statt der Geltendmachung seines Rechts auf eine vorzugsweise Befriedigung kann der Dritte sich au...

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