Rz. 3

Bei freiwilliger Zahlung auf eine von mehreren Verbindlichkeiten hat der Stpfl. das Recht zu bestimmen, welche Verbindlichkeit getilgt werden soll (Abs. 1). Diese Regelung entspricht § 366 Abs. 1 BGB; es können daher die zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen werden.[1] Leistet ein Dritter anstelle des Stpfl.[2], steht diesem (nicht dem Stpfl.) das Bestimmungsrecht zu.[3]

Die Bestimmung der Reihenfolge der Tilgung durch den Stpfl. ist eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die §§ 116 ff. BGB anzuwenden sind.[4]

Das Bestimmungsrecht kann in jeder beliebigen Form oder formlos (u. a. also schriftlich oder mündlich) ausgeübt werden. Möglich ist auch die Bestimmung durch konkludentes Handeln.[5] Entscheidend ist in allen Fällen, dass die Erklärung eindeutig bestimmt ist. Von einer konkludenten Ausübung des Bestimmungsrechts ist u. a. auszugehen, wenn ein Zahlbetrag genau dem Betrag einer der geschuldeten Summen entspricht.[6] Überreicht bzw. übersendet der Stpfl. mit einer Steueranmeldung einen Scheck mit dem Betrag der angemeldeten Steuer, so ist von einer Tilgung der angemeldeten Steuer auszugehen; eine Verrechnung durch die Finanzbehörde mit anderen Rückständen ist dann unwirksam. Ist für einen von mehreren Beträgen AdV gewährt worden, kann darin ein Indiz liegen, dass der Leistende stillschweigend die Tilgung der nicht von der AdV betroffenen Beträge bestimmt hat.[7]

 

Rz. 4

Zum Zeitpunkt der Tilgungsbestimmung: Die Bestimmung muss grds. bei der Zahlung vorliegen, sie muss also bis zur Zahlung erklärt worden sein. Nach erfolgter Zahlung ist eine (rückwirkende) Tilgungsbestimmung nicht mehr möglich; vielmehr greift dann die gesetzliche Tilgungsreihenfolge nach § 225 Abs. 2 AO.[8] Der Stpfl. kann sich allerdings bei der Zahlung die Bestimmung vorbehalten; der Vorbehalt der Bestimmung muss dann aber ausdrücklich und zweifelsfrei geschehen. In einem solchen Fall tritt die Erfüllungswirkung erst mit der Bestimmung ein, Zinsen und Säumniszuschläge laufen also vorläufig weiter.[9] Teilweise wird vertreten, dass die Bestimmung in diesem Fall in angemessener Frist zu treffen sei; anderenfalls solle die gesetzliche Tilgungsreihenfolge des Abs. 2 greifen.[10]

Ist die Willenserklärung einmal wirksam abgegeben worden, kann sie nicht mehr frei geändert oder widerrufen werden.[11] Auch eine nachträgliche Vereinbarung zwischen dem Stpfl. und der Finanzbehörde ist wohl nicht geeignet, eine getroffene Tilgungsbestimmung rückgängig zu machen.[12] Die Tilgungsbestimmung als öffentlich-rechtliche Willenserklärung kann dagegen zwar grundsätzlich etwa wegen Irrtums nach §§ 119ff. BGB angefochten werden.[13]

Eine bloße Fehlvorstellung über die steuerrechtlichen Folgen der abgegeben Tilgungsbestimmung erlaubt die Anfechtung – als reiner Motivirrtum – allerdings nicht. Für den Fall einer wirksamen Anfechtung wird teilweise vertreten, dass der Stpfl. nach erfolgter Anfechtung sein Bestimmungsrecht erneut ausüben könne.[14] Daran ist bei bereits erfolgter Zahlung zu zweifeln, da die Bestimmung in diesem Fall nicht bereits bei Vornahme der Zahlung vorgelegen hat und eine nachträgliche Bestimmung nicht möglich ist (s. o.); es dürfte daher die gesetzliche Tilgungsfolge des Abs. 2 greifen.

 

Rz. 5

Der Stpfl. ist frei in seiner Entscheidung, welchen von mehreren geschuldeten Beträge er tilgen will; die Finanzbehörde hat hierauf keinen Einfluss. Dies gilt selbst dann, wenn die Bestimmung einer zuvor getroffenen Tilgungsabsprache zwischen Finanzbehörde und Stpfl. widerspricht. Die Finanzbehörde kann in diesem Fall nur die Entgegennahme der Zahlung ablehnen, die Zahlung aber nicht mit einer anderen Schuld verrechnen.[15] Die Bestimmung durch den Stpfl. ist auch wirksam, wenn hierdurch eine Überzahlung entsteht, während andere Schulden nicht gedeckt sind.[16] In diesem Fall entsteht ein Erstattungsanspruch des Stpfl., gegen den die Finanzbehörde ggf. aufrechnen kann.

[1] FG des Saarlandes v. 9.2.1990, 1 K 233/88, EFG 1990, 384.
[3] Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 225 Rz. 4; FG Hamburg v. 10.5.1967, V R 73–78/65 I, I 142/67, EFG 1967, 537.
[4] Niedersächsiches FG v. 24.9.2014, 3 K 118/14, EFG 2015, 269.
[5] BFH v. 14.10.1999, IV R 63/98, BStBl II 2001, 329; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 225 Rz. 4; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 225 AO Rz. 10.
[6] FG des Saarlandes v. 9.2.1990, 1 K 233/88, EFG 1990, 384; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 225 Rz. 4.
[7] BFH v. 14.10.1999, IV R 63/98, BFH/NV 2000, 357; vgl. zum Ganzen auch Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 225 Rz. 4.
[8] BFH v. 8.9.1994, VII B 72/94, BFH/NV 1995, 373, 12457; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 225 AO Rz. 11.
[9] Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 225 Rz. 3; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 225 Rz. 5.
[10] Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 225 Rz. 5.
[11] BFH v. 1.12.2015, VII R 44/14, BFH/NV 2016, 881 m. w. N.; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 225 Rz. 3; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 225 Rz. 5.
[12] Vgl. BFH v. 14...

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