Rz. 6

Gegen die Geltung des Vertrauensschutzes im Steuerrecht und insbesondere gegen § 176 AO sind Bedenken aus dem Prinzip der Gewaltenteilung erhoben worden.[1] Wenn Rspr. und Verwaltung durch § 176 AO gehalten sind, als unrichtig erkannte Auslegungen des Gesetzes in bestimmten Fällen weiter anzuwenden, setzen sie damit eine von ihnen geschaffene rechtliche Regelung an die Stelle der gesetzlichen. Das verfassungsmäßig zustande gekommene Gesetz wird insoweit durch nicht durch die Verfassung legitimierte "Gesetzgeber" verdrängt.

 

Rz. 7

Trotzdem dürfte an der Verfassungsmäßigkeit des § 176 AO kein Zweifel bestehen; umgekehrt dürfte eine völlige Negierung des Vertrauens des Stpfl. wegen Grundrechtsverstoßes verfassungswidrig sein (vgl. Rz. 2). Der Grundsatz des Schutzes des berechtigten Vertrauens des Bürgers ist ein Verfassungsgrundatz, der gleichberechtigt neben dem Grundsatz der Richtigkeit der Verwaltungsentscheidungen steht. Insoweit hat also für einzelne Fallgruppen eine Abwägung dieser beiden Grundsätze zu erfolgen, die bei gesetzlicher Grundlage auch typisierend erfolgen kann. Es ist anerkannter Grundsatz, dass eine Korrektur der Folgen der strengen Gesetzesanwendung möglich und geboten ist, wenn und soweit die generalisierende Regelung des Gesetzes den Umständen des Einzelfalls nicht gerecht wird.[2] Die generalisierende Regelung der Einzelsteuergesetze kann aber i. d. R. dem jeweils nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilenden Prinzip des Vertrauensschutzes nicht gerecht werden. Insoweit muss also im Einzelfall eine Korrektur der gesetzlichen Regelung erfolgen. § 176 AO enthält nichts anderes als die Typisierung bestimmter Fallgruppen, in denen das Bedürfnis nach Vertrauensschutz besonders stark ist, und steht damit in Übereinstimmung mit den allgemeinen Regeln der Gesetzesanwendung. Schließlich kann sich aus dem Grundsatz der Kontinuität sogar ein verfassungsrechtliches Gebot der Gewährung des Vertrauensschutzes ergeben.[3]

 

Rz. 8

Schließlich besteht eine formale Rechtfertigung der Abweichung vom Gesetz im Einzelfall zugunsten des Grundsatzes des Vertrauensschutzes darin, dass diese Abweichung eben auf § 176 AO, einem verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetz, beruht.

[1] Rössler, BB 1981, 842.
[3] Vgl. im Einzelnen zur Problematik der Kontinuitätsgarantie Kirchhof, DStR 1989, 263; Hey, DStR 2004, 1897; Englisch/Plum, StuW 2004, 342, 362.

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