Rz. 185

Bewegt sich die tatsächliche Verständigung in diesem Rahmen, sind sowohl Finanzbehörde als auch Stpfl. an sie gebunden. Die Bindungswirkung tritt im Zeitpunkt des wirksamen Abschlusses der tatsächlichen Verständigung ein, nicht erst mit der entsprechenden Steuerfestsetzung. Die Steuerfestsetzung ist lediglich Erfüllung der von den Beteiligten in der tatsächlichen Verständigung übernommenen Verpflichtungen.[1] Die Bindungswirkung ergibt sich nicht aus der Verständigung als Verwaltungsakt, da diese Wirkung nicht darauf beruht, dass die Behörde mit hoheitlicher Gewalt eine einseitige Regelung trifft. Vielmehr resultiert sie nach der hier[2] vertretenen Ansicht auf dem Bindungswillen beider Parteien, nach der Rechtsprechung[3] auf Treu und Glauben. Nach beiden Ansichten kann die tatsächliche Verständigung nicht als Verwaltungsakt eingeordnet werden.[4]

 

Rz. 186

Die aufgrund der tatsächlichen Verständigung festgesetzte Steuer ist "richtig" i. d. S., dass sie aufgrund der Rechtsordnung legitimiert ist. Bindung an die tatsächliche Verständigung bedeutet für die Finanzbehörde, dass sie die Steuer entsprechend dem Ergebnis der tatsächlichen Verständigung festsetzen muss. Setzt sie die Steuer anderweitig fest, ist die Steuerfestsetzung rechtswidrig und auf Anfechtung des Stpfl. aufzuheben bzw. zu ändern. Im Gerichtsverfahren darf auch das Gericht nicht von der wirksamen tatsächlichen Verständigung abweichen. Aufseiten des Stpfl. bedeutet Bindung, dass die der tatsächlichen Verständigung entsprechende Steuerfestsetzung rechtmäßig ist. Er ist zwar nicht gehindert, gegen die Steuerfestsetzung einen Rechtsbehelf einzulegen, da die tatsächliche Verständigung keinen Rechtsbehelfsverzicht bedeutet. Der Rechtsbehelf wäre aber unbegründet (nicht unzulässig), da die Steuerfestsetzung aufgrund der tatsächlichen Verständigung rechtmäßig ist.

 

Rz. 187

Die Bindung erfasst jedoch nur diejenigen Besteuerungsgrundlagen, über die eine Verständigung getroffen worden ist. Hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen außerhalb der tatsächlichen Verständigung tritt für keine der beiden Seiten eine Bindung ein. Sie können daher noch berücksichtigt bzw. die Art ihrer Berücksichtigung noch geändert werden, soweit hierfür noch keine Bestandskraft eingetreten ist. Daher können Ehegatten i. d. R. noch eine Änderung der Veranlagungsart beantragen, wenn sich die tatsächliche Verständigung nicht auf die Veranlagungsart bezogen hat.[5]

 

Rz. 188

Liegt die tatsächliche Verständigung außerhalb des zulässigen Rahmens, ist sie also offensichtlich unrichtig[6], tritt keine Bindung ein.[7] Offenkundig unrichtig ist die tatsächliche Vereinbarung nicht schon dann, wenn nachträglich festgestellt wird, dass die Vereinbarung nicht die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegelt, sondern nur dann, wenn sie offensichtlich den Schätzungsrahmen (d. h. den Bereich der Unsicherheit, der bei Abschluss der Vereinbarung bestand) überschreitet. Liegt eine offenkundige Unrichtigkeit vor, kann die Finanzbehörde die Steuer anderweitig festsetzen, ein Rechtsbehelf des Stpfl. ist nicht unbegründet.

 

Rz. 189

Grundlage der Bindung beider Parteien durch eine tatsächliche Verständigung sind die übereinstimmenden materiell-rechtlichen Willenserklärungen beider Seiten[8], also ein materiell-rechtlicher öffentlich-rechtlicher Vertrag.[9] Die Kritik von v. Bornhaupt, BB 1985, 1591, eine Bindung des Stpfl. könne sich nur aus einem wirksamen Rechtsbehelfsverzicht ergeben, geht daher fehl.[10] Die Bindung an eine tatsächliche Verständigung beruht auf einer materiell-rechtlichen Willenserklärung des Stpfl., nicht auf einem prozessrechtlichen Rechtsbehelfsverzicht. Auch sind die Wirkungen beider Erklärungen unterschiedlich: Die materiell-rechtliche Willenserklärung führt zur Unbegründetheit des Rechtsbehelfs, da die Steuerfestsetzung aufgrund der tatsächlichen Verständigung "richtig" ist; der Rechtsmittelverzicht würde zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs führen, auch wenn die Steuerfestsetzung unrichtig ist.

 

Rz. 190

Der BFH[11] sieht den Rechtsgrund der Bindung dagegen nicht in den übereinstimmenden Willenserklärungen, sondern in Treu und Glauben. Damit verwischt der BFH in dem Bemühen, die Anerkennung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zu vermeiden, die Konturen des Tatbestands der tatsächlichen Verständigung. Die Parteien gehen bei der tatsächlichen Verständigung bewusst eine Bindung aufgrund ihrer übereinstimmenden Willenserklärungen ein; das ist ein Vertrag. Eine Bindung aus Treu und Glauben tritt dagegen ein, wenn eine Partei (zu Recht) das nicht-rechtsgeschäftliche Verhalten der anderen Partei als Bindung auslegt. Die Bindung aufgrund von Treu und Glauben tritt also nicht nur ein, weil sie gewollt ist, sondern auch dann, wenn sie von der gebundenen Partei nicht gewollt ist. Bei der tatsächlichen Verständigung wollen sich beide Parteien binden und geben dementsprechende Erklärungen ab. Das ist ein Vertrag, nicht Bindung aus Treu und Glauben. Außerdem lässt sich die auch vom BFH vertreten...

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