1 Allgemeines

1.1 Inhalt der Vorschrift

 

Rz. 1

§ 138e AO konkretisiert die Vorschrift des § 138d Abs. 2 Nr. 3 AO hinsichtlich der sachlichen Kriterien des Begriffs der "grenzüberschreitenden Steuergestaltungen". Die Definition der grenzüberschreitenden Steuergestaltungen in § 138d Abs. 2 AO enthält eine persönliche und eine sachliche Komponente. Die persönliche Komponente ist in § 138d Abs. 2 Nr. 2 AO definiert. Hinsichtlich der sachlichen Komponente verweist § 138d Abs. 2 Nr. 3 AO auf die Kennzeichen ("Hallmarks"), die in § 138e Abs. 1, 2 AO näher definiert sind. Eine grenzüberschreitende Steuergestaltung setzt daher neben der persönlichen Komponente voraus, dass mindestens eines der in § 138e Abs. 1, 2 AO aufgeführten Kennzeichen vorliegt. Außerdem definiert § 138e Abs. 3 AO den Begriff des verbundenen Unternehmens, der in den Abs. 1 und 2 verwandt wird. Die Aufzählung der Kennzeichen in § 138e Abs. 1, 2 AO ist abschließend.[1]

 

Rz. 2

Hinsichtlich ihrer Rechtswirkung unterscheiden sich die Kennzeichen des Abs. 1 von denen des Abs. 2. Die Kennzeichen des § 138e Abs. 1 AO stehen unter dem Vorbehalt des § 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AO. Das Vorliegen dieser Kennzeichen begründet allein für sich noch nicht eine grenzüberschreitende Steuergestaltung, sondern nur, wenn zusätzlich die Voraussetzungen des "Main Purpose Tests" (Relevanztest) erfüllt sind. Das ist der Fall, wenn vernünftigerweise erwartet werden kann, dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist. Dabei ist der Begriff des "steuerlichen Vorteils" näher in § 138d Abs. 3 AO definiert. Dagegen bewirkt die Verwirklichung eines Kennzeichens nach § 138e Ab. 2 AO für sich allein, dass eine mitteilungspflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltung vorliegt. Es braucht also insoweit keine Missbrauchsabsicht vorzuliegen. Allein die Verwirklichung eines dieser Kennzeichen führt zu der unwiderlegbaren Vermutung, dass eine grenzüberschreitende Steuergestaltung i. S. d. § 138d AO vorliegt. Subjektive Voraussetzungen sieht das Gesetz allerdings weder bei den Kennzeichen des § 138e Abs. 1 AO, noch bei denen des § 138e Abs. 2 AO vor. Beide Gruppen von Kennzeichen sind nach objektivierten Kriterien definiert, sodass es auf eine konkrete Absicht der Intermediäre oder der Nutzer nicht ankommt.

[1] BMF v. 29.3.2021, IV A 3 – S 0304/19/10006:010, BStBl I 2021, 582, Rz. 105.

1.2 Rechtsentwicklung

 

Rz. 3

Die Vorschrift ist durch Gesetz v. 21.12.2019[1] eingeführt worden und setzt Anhang IV der Richtlinie (EU) 2018/822[2] um, der seinerseits auf Action 12 des BEPS-Projekts der OECD beruht.[3] In diesem Anhang IV sind die Kennzeichen aufgeführt, die inhaltsgleich in § 138e Abs. 1, 2 AO aufgenommen worden sind. § 138e Abs. 3 AO mit der Definition der verbundenen Unternehmen beruht auf Art. 3 Nr. 23 der Richtlinie. Die Umsetzung ist allerdings in dem Sinne nur mittelbar, als die EU-Richtlinie nicht die Anzeige der Steuergestaltungen betrifft, sondern die Verpflichtung der EU-Staaten zur Übermittlung dieser Steuergestaltungen an die Finanzbehörden anderer betroffener EU-Staaten. Die deutschen Finanzbehörden sind aber nur dann in der Lage, diese Mitteilungspflicht zu erfüllen, wenn sie selbst über die fraglichen Steuergestaltungen informiert worden sind. Die Erfüllung der Mitteilungspflicht zwischen den EU-Staaten setzt daher eine Mitteilungspflicht der Intermediäre bzw. der Stpfl. bezüglich der Steuergestaltungen voraus. Insofern erzwingt die Erweiterung der Auskunftsrichtlinie auf die Mitteilung der grenzüberschreitenden Steuergestaltungen die Einführung von Mitteilungspflichten in den §§ 138d ff. AO. Aufgrund der inhaltsgleichen Übernahme der Kennzeichen aus der Richtlinie in § 138e AO kann der Inhalt der Richtlinie einschließlich der in der Richtlinie definierten Gründe für die Regelung ggf. aber zur Auslegung der Vorschrift herangezogen werden. Allerdings gibt es geringfügige Abweichungen zwischen den Kennzeichen nach Anhang IV der Richtlinie und § 138e AO. Bedenklich ist das nicht, da § 138e AO das Verhältnis zwischen der Finanzbehörde und dem Stpfl. bzw. Intermediär betrifft, während die Richtlinie die Auskunftspflicht der Bundesrepublik gegenüber den Finanzbehörden anderer EU-Staaten regelt. Es kann aber sein, dass § 138e AO eine Mitteilungspflicht des Stpfl. statuiert, der keine Auskunftspflicht der Bundesrepublik entspricht, oder umgekehrt, dass eine Auskunftspflicht besteht, wegen der engeren Formulierung der Kennzeichen in § 138e AO aber keine Mitteilungspflicht des Intermediärs.

 

Rz. 4

Die Vorschrift ist nach Art. 97 § 33 EGAO ab dem 1.7.2020 anzuwenden, wenn das in § 138f Abs. 2 AO maßgebende Ereignis nach dem 30.6.2020 eingetreten ist. Die Mitteilungspflicht tritt jedoch bereits für Steuergestaltungen ein, wenn der erste Schritt der Steuergestaltung nach dem 24.6.2018 und vor dem 1.7.2020 umgesetzt wurde.

 

Rz. 4a

Durch das zweite Gesetz zur Änderung der AO und des EGAO v. 12.7.2022[4] wurde in Abs. 3 ein neuer Satz 5 eingefügt. Danach gilt für die Berechnung der Höhe der Stimmrecht...

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