Rz. 88

Eine Meldepflicht besteht nur dann, wenn eines der in § 138e AO aufgezählten Kennzeichen erfüllt ist.[1] Dabei ist in Kennzeichen zu unterscheiden, bei denen die Erfüllung ohne weitere Voraussetzungen das Tatbestandsmerkmal des Nr. 3 erfüllt und Kennzeichen, bei denen zusätzlich noch der sog. Motivtest erfüllt sein muss. Die Kennzeichen ohne Motivtest sind in § 138e Abs. 2 AO definiert. Kennzeichen mit Motivtest sind in § 138e Abs. 1 AO abschließend aufgezählt. Der Motivtest ist nicht in § 138d Abs. 2 AO, sondern in § 138d Abs. 3 AO definiert.

 

Rz. 89

Gem. § 138d Abs. 2 Nr. 3 lit. a AO muss zur Erfüllung des sog. Motivtests ein "verständiger Dritter unter Berücksichtigung aller wesentlichen Fakten und Umstände vernünftigerweise erwarten [können], dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ... ist". Wann ein solcher steuerlicher Vorteil vorliegen soll, ist in § 138d Abs. 3 AO definiert (s. dazu Rz. 95ff.). Die anderen Tatbestandsmerkmale sind nicht im Gesetz definiert, sondern müssen durch Auslegung konkretisiert werden.

 

Rz. 90

Da diese Voraussetzung als positives Tatbestandsmerkmal formuliert ist, liegt die Darlegungs- und Beweislast für dieses Merkmal bei der Finanzverwaltung, wenn sie argumentiert, dass eine Meldepflicht vorliegt. Sie muss nach den allg. Regelungen das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale nachweisen; anders wäre dies nur, wenn dieses Tatbestandsmerkmal als negative Ausnahme formuliert wäre. Die Finanzverwaltung kehrt die Darlegungs- und Beweislast allerdings um und fordert, dass ihr nachgewiesen werden muss, dass dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt ist. Sie will dabei sogar noch stärkere Nachweise fordern, als im Rahmen des § 42 Abs. 2 Satz 2 AO. Damit verkennt sie die allg. Beweislastregelungen. In § 42 Abs. 2 Satz 2 AO ist eine Ausnahme von dem Grundsatz geregelt; dies ergibt sich aus der Formulierung, die beginnt mit "dies gilt nicht...". § 138d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a) AO ist aber gerade nicht als Ausnahme formuliert, sodass die Beweislastumkehr, wie sie in § 42 Abs. 2 Satz 2 AO erfolgt, gerade nicht eintritt. Eine Glaubhaftmachung zu fordern kehrt die Gesetzessystematik zudem um. Die Finanzverwaltung sagt auch nicht, durch wen die Glaubhaftmachung erfolgen muss. Da es um das Vorliegen einer meldepflichtigen Gestaltung geht, kann dies m. E. nur durch den Meldepflichtigen erfolgen. Wenn man sich dieser Auffassung anschließt und eine Glaubhaftmachung fordert, kann dies nach den allgemeinen Regeln erfolgen.

 

Rz. 91

Bei dem Motivtest ist auf die Sichtweise eines verständigen Dritten abzustellen. M.E. bedeutet dies, dass auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen ist. Es soll ausgeschlossen werden, dass der Nutzer/Intermediär sich auf eine rein subjektive und objektiv nicht nachvollziehbare Argumentation zurückzieht. Unter einem verständigen Dritten ist m. E. eine steuerlich vorgebildete Person zu sehen. Allerdings kann nicht Voraussetzung sein, dass bestimmte Spezialkenntnisse über eine allgemeine steuerliche Vorbildung erforderlich sind. Es ist auf einen verobjektivierten Erfahrungshorizont abzustellen.

 

Rz. 92

Dabei sind alle wesentliche Fakten und Umstände zu berücksichtigen. Dies ist m. E. ein allg. Grundsatz der Auslegung. Es ist stets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob ein Tatbestandsmerkmal erfüllt ist. Auch wenn nicht diese allgemeingültige Wortwahl gewählt ist, ergibt sich m. E. inhaltlich kein Unterschied.

 

Rz. 93

Darüber hinaus, muss der verständige Dritte "vernünftigerweise" erwarten können, dass ein Hauptvorteil der Gestaltung in einem steuerlichen Vorteil i. S. d. Abs. 3 liegt. Daraus ergibt sich zunächst, dass ein steuerlicher Vorteil tatsächlich nicht eingetreten sein muss. Es ist ausreichend, wenn ein solcher erwartet werden kann, auch wenn er tatsächlich gar nicht eintritt. Wann eine solche Erwartung vernünftigerweise realistisch ist, wird nicht weiter ausgeführt. Die Begrifflichkeit "vernünftigerweise" ist m. E. so auszulegen, dass extreme Positionen oder Auffassungen ausgeschlossen werden sollen. Darüber hinaus kann m. E. keine Einschränkung daraus abgeleitet werden. Dazu ist der Begriff zu unbestimmt und dürfte auch kaum justiziabel sein.

 

Rz. 94

Der steuerliche Vorteil muss der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile sein. M.E. ist fraglich, ob es überhaupt mehrere Hauptvorteile geben kann. Dies wird aber implizit vorausgesetzt, wenn es ausreichend ist, dass der Steuervorteil einer der Hauptvorteile ist. Ein "Haupt"-Vorteil kann m. E. begriffssystematisch nur ein Vorteil sein. Dies impliziert das Wort "Haupt". Sofern es mehrere gleichwertige Vorteile gibt, kann keiner dieser Vorteile der "Haupt"-Vorteil sein. Die Finanzverwaltung legt dieses Merkmal in der Form aus, dass andere außersteuerliche (insbesondere wirtschaftliche) Gründe überwiegen sollen und der steuerliche Vorteil dadurch in den Hintergrund getreten ist.[2]

[2] BMF v. 29.3.2021, IV A 3-S 03...

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