Rz. 27

§ 1 Abs. 1 AO erfasst nicht unmittelbar die steuerlichen Nebenleistungen. Die in § 3 Abs. 4 AO einzeln aufgezählten steuerlichen Nebenleistungen (insbes. Verspätungszuschläge, Zinsen, Säumniszuschläge, Zwangsgelder, Kosten sowie Zinsen i. S. d. ZK) sind zwar Abgaben, aber keine Steuern. Abs. 3 sieht wegen des engen Zusammenhangs der steuerlichen Nebenleistungen mit den Steuern vor, dass die Vorschriften der AO grundsätzlich sinngemäß anzuwenden sind.

Dies würde sich ohne die Regelung des Abs. 3 bereits aus Abs. 1 ergeben, da sie mit den Steuern zusammenhängen.[1] Weil man dies übersah und die steuerlichen Nebenleistungen in einem besonderen Absatz ohne Einschränkungen ansprach, ist eine einschränkende Auslegung des Wortlauts des Abs. 3 erforderlich, dass die AO nur auf solche steuerlichen Nebenleistungen anzuwenden ist, die sich auf Steuern nach Abs. 1 beziehen. Eine dem Wortlaut des Abs. 3 folgende Auslegung würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass z. B. die AO auf landesgesetzlich geregelte Steuern selbst nicht anzuwenden wäre, aber auf die steuerlichen Nebenleistungen zu diesen Steuern.

 

Rz. 28

Mit Ausnahme der in Abs. 3 S. 2 genannten Beschränkungen sollen für die steuerlichen Nebenleistungen alle Vorschriften der AO sinngemäß anwendbar sein. Dies ist zu pauschal geregelt, da manche danach anwendbare Vorschrift für eine Anwendung auf steuerliche Nebenleistungen nicht in Betracht kommt.[2] Die Vorschriften des Dritten bis Sechsten Abschnitts des Vierten Teils der AO sollen nur insoweit gelten, als dies besonders bestimmt ist.

 

Rz. 29

Eine Anwendung der Vorschriften für das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren, die Außenprüfung, die Steuerfahndung und die Steueraufsicht in besonderen Fällen auf die steuerlichen Nebenleistungen ist – von Ausnahmen abgesehen – nicht sinnvoll. Abs. 3 macht daher die Anwendung der Vorschriften des Dritten bis Sechsten Abschnitts des Vierten Teils[3] davon abhängig, dass dies im Einzelfall besonders bestimmt ist. Dies ist z. B. in § 156 AO (Ermächtigung für den Erlass von Rechtsverordnungen über das Abrunden und über das Absehen von Steuerfestsetzungen) geschehen.

 

Rz. 30

Für den Haftungs- und Duldungsbescheide fehlt dagegen in § 191 AO die besondere Bestimmung der Anwendbarkeit. § 191 Abs. 1 AO sieht den Erlass eines Haftungs- oder Duldungsbescheids lediglich für die Haftung bzw. Duldung bezüglich einer Steuer, nicht für andere Ansprüche aus dem Dauerschuldverhältnis[4] und auch nicht für steuerliche Nebenleistungen oder einzelne von ihnen vor. Da jedoch materielle Haftungsvorschriften der AO eine Haftung auch für die einzelne steuerliche Nebenleistung vorsehen[5], muss § 191 AO auch insoweit gelten.[6]

 

Rz. 31

Für die Festsetzungsfrist fehlt ebenfalls die erforderliche besondere Bestimmung der Anwendbarkeit auf die steuerlichen Nebenleistungen allgemein, für die Zinsen gilt allerdings § 239 Abs. 1. §§ 169ff. AO sind auf die übrigen steuerlichen Nebenleistungen also nicht anwendbar.[7]

 

Rz. 32

Auf die steuerlichen Nebenleistungen sind nach § 1 Abs. 3 S. 1 AO die Vorschriften der AO vorbehaltlich des Rechts der EU sinngemäß anzuwenden. Das bedeutet nicht das Gleiche wie die Anwendbarkeit der Regeln über Steuern. Soweit die steuerlichen Nebenleistungen oder einzelne von ihnen nicht unmittelbar oder als Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis[8] in einer Regelung genannt und behandelt werden, ist außerhalb des Ausschlussbereichs des § 1 Abs. 3 S. 2 AO im Einzelfall besonders zu prüfen, was die sinngemäße Anwendung der in Betracht kommenden Vorschriften unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der steuerlichen Nebenleistung bedeutet.

[1] S. Rz. 7; vgl. auch Krumm, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 1 AO Rz. 46.
[2] Krumm, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 1 AO Rz. 47.
[5] Vgl. §§ 69, 71, 72 AO.
[8] Z. B. in §§ 46, 48, 69, 72, 218ff. AO.

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