Rz. 35

Der nach § 88 Abs. 2 S. 1 AO das Handeln der Finanzbehörde bindende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips[1] und dementsprechend ohnehin für jede hoheitliche Gewalt verbindlich.[2] Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als verfassungsrechtlich verankertem Prinzip ist regelmäßig das Mittel zu wählen, das bei gleichem Erkenntniswert den geringsten Eingriff in die Sphäre des Beteiligten mit sich bringt. Die Ermittlungshandlungen dürfen danach zu dem angestrebten Erfolg nicht erkennbar außer Verhältnis stehen. Sie sollen so gewählt werden, dass damit unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls ein möglichst geringer Eingriff in die Rechtssphäre des Beteiligten oder Dritter verbunden ist.[3] So ist eine Ermittlungsmaßnahme nur erforderlich, wenn nicht ein anderes, gleich wirksames, aber die Rechte der betroffenen Person weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte gewählt werden können.[4]

 

Rz. 36

An einigen Stellen hat der Grundsatz ausdrücklich Eingang in das Verfahrensrecht gefunden. Von besonderer Bedeutung ist die Gewährung rechtlichen Gehörs vor Erlass einer belastenden Behördenentscheidung. Des Weiteren ist nach § 93 Abs. 1 S. 3 AO die Inanspruchnahme von Dritten erst dann zulässig, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass der Stpfl. selbst seiner Mitwirkungspflicht nicht genügen wird oder genügt hat. § 150 Abs. 8 AO enthält in Fällen, in denen die Befolgung der gesetzlich vorgeschriebenen Erklärungsform eine unzumutbare Härte für die Stpfl. bedeutet, Erleichterungen. Vergleichbares gilt für Erleichterungen für steuerliche Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten nach § 148 AO. Der nach § 147 Abs. 5 AO zu gewährende Zugriff auf elektronisch gespeicherte Unterlagen ist in der Form zu gewähren, wie er dem Stpfl. den geringsten Aufwand verursacht (u. U. sogar unmittelbar in der Buchhaltung des geprüften Unternehmens direkt). Will die Finanzbehörde im Rahmen eines vom Stpfl. eingelegten Rechtsbehelfs eine für ihn verbösernde Entscheidung treffen, hat sie dies nach § 367 Abs. 2 S. 2 AO anzukündigen und dem Einspruchsführer Gelegenheit zu geben, den Einspruch zurückzunehmen.

 

Rz. 37

Verhältnismäßiges Verwaltungshandeln gebietet auch Einschränkungen der Sachverhaltsaufklärungspflicht. So ist die Finanzbehörde nicht verpflichtet, jeden Sachverhalt auf alle theoretisch möglichen Sachverhaltsgestaltungen zu erforschen.[5] Die Finanzbehörde kann den Angaben des Stpfl. Glauben schenken, wenn nicht greifbare Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass seine Angaben falsch oder unvollständig sind.[6] Sie kann regelmäßig davon ausgehen, dass die Angaben des Stpfl. in seiner Steuererklärung vollständig und richtig sind. Intensive Ermittlungen, die außer Verhältnis zur steuerlichen Auswirkung stehen und unangemessen in die Freiheitsrechte des Stpfl. eingreifen, würden gegen das Übermaßverbot verstoßen.[7] Anders ist es indes, wenn sich greifbare Umstände oder offenbare Zweifelsfragen aufdrängen, die auf eine Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit der Steuererklärung hindeuten.[8] Diesen muss die Finanzbehörde angemessen nachgehen.[9]

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