3.2.1 Unbekannte Beteiligte (Abs. 1 Nr. 1)

 

Rz. 8

Nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 AO – entspr. § 1913 BGB – kann ein Vertreter von Amts wegen bestellt werden, wenn der Finanzbehörde der Beteiligte unbekannt geblieben ist. Hierbei ist es unerheblich, ob es sich um einen oder eine Mehrheit von unbekannten Beteiligten – wie z. B. mehrere Mitglieder einer Erbengemeinschaft – handelt. Für eine Beteiligtenmehrheit braucht grds. nur ein Vertreter bestellt zu werden.[1] Sind jedoch Interessengegensätze erkennbar, so ist nur die Bestellung von mehreren Vertretern ermessensfehlerfrei.[2] Sind von einer Beteiligtenmehrheit nur einer oder einzelne Beteiligte unbekannt, so ist nur für die Unbekannten ein Vertreter zu bestellen, nicht aber für die bekannten Beteiligten.

 

Rz. 9

Unbekannt i. d. S. ist der Beteiligte, wenn die Finanzbehörde trotz der nach § 88 Abs. 1 AO gebotenen Ermittlungen[3] nicht feststellen kann, wer Stpfl., d. h. Träger der steuerlichen Rechte und Pflichten, in diesem Besteuerungsfall ist.[4] Diese gilt auch für den Fall, dass die Beteiligung umstritten ist.[5] Die Finanzbehörde hat daher nicht allein die Unkenntnis oder Zweifel über die Person als Beteiligte darzulegen, sondern verhältnismäßige und zumutbare Ermittlungsmaßnahmen i. S. d. § 88 AO anzustrengen. Im Regelfall wird hierfür eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt ausreichend sein.[6] Ausnahmsweise können aber weitere Ermittlungsmaßnahmen erforderlich sein, wenn diese einfach und schnell durchführbar sind.

Die Bestellung eines Vertreters kommt auch in Betracht, wenn ein Erbe nicht festgestellt werden kann. Die Finanzbehörde kann in diesem Fall beim Nachlassgericht die Bestellung eines Nachlasspflegers beantragen, mit dem Ziel der Feststellung, dass der Fiskus Erbe geworden ist.[7]

[1] Grüneberg/Götz, BGB, 82. Aufl. 2023, § 1913 BGB Rz. 2.
[2] Kobor, in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, AO, § 81 AO, Rz. 11.
[3] Koenig/Hahlweg, AO, 4. Aufl. 2021, § 81 Rz. 7; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 81 AO Rz. 45.
[4] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 81 AO Rz. 7; Gold, in Zugmaier/Nöcker, AO, § 81 AO Rz. 8.
[5] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 81 AO Rz. 48; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 16 Rz. 13; Grüneberg/Götz, BGB, 82. Aufl. 2023, § 1913 BGB Rz. 2.
[6] Kobor, in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, AO, § 81 AO Rz. 10.1; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 81 AO Rz. 9.
[7] Mues, in Gosch, AO/FGO, § 81 AO Rz. 22.

3.2.2 Abwesende Beteiligte (Abs. 1 Nr. 2)

 

Rz. 10

Nach § 81 Abs. 1 Nr. 2 AO 1. Alt. kann – entspr. § 1884 Abs. 1 BGB – ein Vertreter von Amts wegen bestellt werden, wenn der Aufenthalt des bekannten Beteiligten und sein Verbleib – trotz der nach § 88 AO gebotenen Ermittlungen – unbekannt ist.

Nach § 81 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. AO kann – entspr. § 1884 Abs. 2 BGB – ein Vertreter von Amts wegen bestellt werden, wenn der Beteiligte, auch wenn sein Aufenthalt bekannt ist, an der Rückkehr und Besorgung seiner Angelegenheiten für einen nicht absehbaren Zeitraum verhindert ist.

 

Rz. 11

In beiden Fallalternativen ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm eine Ortsabwesenheit erforderlich. Abwesend ist ein Beteiligter, wenn er sich nicht an seinem Wohnsitz[1] oder gewöhnlichen Aufenthalt[2] aufhält.[3] Eine nur kurzfristige Abwesenheit ist einerseits aufgrund der regelmäßig fehlenden Eilbedürftigkeit der Erledigung der steuerrechtlichen Angelegenheit sowie andererseits wegen der Dauer der Vertreterbestellung von Amts wegen regelmäßig unschädlich und rechtfertigt nicht die Annahme einer Abwesenheit. Insoweit dürfte regelmäßig das Abwarten von mehreren Wochen die Annahme einer Abwesenheit nicht rechtfertigen, wenn absehbar ist, dass eine Rückkehr zum Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt wahrscheinlich oder sicher ist. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist von der Finanzbehörde darzulegen.[4]

 

Rz. 12

Unbekannt ist der Aufenthalt, wenn der Beteiligte keine Nachricht über seinen aktuellen Verbleib hinterlassen hat und dieser mit zumutbaren Nachforschungen nicht zu ermitteln ist. Zumutbar ist stets die Kontaktaufnahme mittels gängiger Kommunikationsmittel, wie E-Mail, Telefon etc.

 

Rz. 13

Ein Beteiligter ist an der Besorgung seiner Angelegenheit verhindert, wenn die Aufnahme der Verbindung wesentlich erschwert und er nicht bereit ist, einen Vertreter zu bestellen.[5] Eine Verhinderung ist auch dann anzunehmen, wenn sich der Beteiligte zwar am Wohnort oder gewöhnlichen Aufenthalt aufhält, aber nicht zum Verfahrensort – z. B. die Amtsstelle – kommen kann oder will. Dies setzt jedoch regelmäßig eine – nicht vertretbare – höchstpersönliche Verfahrenshandlung sowie die Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens voraus, die im Steuerverfahren regelmäßig nicht gegeben sein wird.[6] Die Gründe sowie ein Verschulden für die Abwesenheit sind ohne Bedeutung bzw. nicht erforderlich, um eine Vertreterbestellung zu rechtfertigen.

[3] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 81 AO Rz. 11; Kobor, in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, AO, § 81 AO Rz. 16; Gold, in Zugmaier/Nöcker, AO, § 81 AO Rz. 9; a. A. Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 81 AO Rz. 62.
[4] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 81 AO Rz. 14; Kobor, in Pfirrmann/Rosen...

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