Rz. 14

Das Erörterungsgebot besteht grundsätzlich, insbesondere wenn der Einspruchsführer die Erörterung beantragt hat. Das generelle Unterlassen der Erörterung unter dem Vorwand der allgemeinen Arbeitsüberlastung ist pflichtwidrig. Nur in Ausnahmefällen handelt die Finanzbehörde ermessensfehlerfrei, wenn sie die beantragte Erörterung unterlässt. Die Finanzbehörde darf ermessensfehlerfrei von der Erörterung absehen, wenn diese aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht geboten erscheint.

 

Rz. 15

Für die Anhörung im allgemeinen Besteuerungsverfahren werden in § 91 Abs. 2, 3 AO bestimmte Ausnahmegründe aufgezählt. Diese gelten sinngemäß auch im Einspruchsverfahren. Allerdings ergibt sich ein wesentlicher Unterschied daraus, dass der Erlass der Einspruchsentscheidung nicht derart eilbedürftig sein kann wie der Erlass des mit dem Einspruch angefochtenen Verwaltungsakts selbst. Durch die Einlegung des Einspruchs wird der Eintritt der Festsetzungsverjährung in vollem Umfang gehindert. Der angefochtene Verwaltungsakt ist auch grundsätzlich vollziehbar, sodass eine Gefährdung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis aufgrund des anhängigen Einspruchsverfahrens nicht in Betracht kommt. Ein neuer Sachverhalt, der die Durchsetzbarkeit des Anspruchs zweifelhaft erscheinen lässt, kann durch eine Modifizierung der gewährten Aussetzung der Vollziehung[1] berücksichtigt werden, bewirkt aber für die Entscheidung in der Hauptsache keine Eilbedürftigkeit.

 

Rz. 16

Entsprechend § 91 Abs. 1 Nr. 3 AO darf grundsätzlich die Finanzbehörde von einer Erörterung absehen, wenn sie von den tatsächlichen Angaben des Beteiligten, die dieser in der Steuererklärung oder in der Einspruchsbegründung gemacht hat, nicht abweicht. Die Erörterung hätte dann lediglich den Austausch unverbindlicher Rechtsauffassungen zum Inhalt und wäre demgemäß zum Schutz des Beteiligten nicht zwingend geboten. Dies gilt stets, wenn die Finanzbehörde dem Einspruchsbegehren abhelfen will, selbst wenn die Abhilfe erst in der Einspruchsentscheidung erfolgen soll.[2]

 

Rz. 17

Die Erörterung des Sach- und Rechtsstands ist auch dann nicht zwingend geboten, wenn der Einspruch zweifelsfrei unzulässig ist und eine Sachentscheidung nicht getroffen werden darf. Eine Erörterung im "Zulässigkeitsstreit" kann allerdings, wenn es nur um die Fristwahrung geht, hilfreich sein.

Die Finanzbehörde kann ermessensfehlerfrei von einer Erörterung absehen, solange eine Sachentscheidung nicht ergehen wird, weil das Einspruchsverfahren nach § 363 AO ausgesetzt ist, ruht oder sonst unterbrochen ist.[3]

 

Rz. 18

Die Erörterung ist auch dann nicht geboten, wenn die Finanzbehörde einen ordnungsgemäßen "Verböserungshinweis" gemäß § 367 Abs. 2 AO gegeben hat. Über den Antrag des Einspruchsführers auf Erörterung kann eine Verlängerung der ordnungsgemäß gesetzten Äußerungsfrist nicht erreicht werden. Durch den "Verböserungshinweis" ist dem Einspruchsführer die Auffassung der Finanzbehörde hinreichend erläutert worden, sodass zu seinem Schutz eine weitere Erörterung nicht geboten ist.

 

Rz. 19

Die Erörterung ist auch dann nicht geboten, wenn bereits eine Erörterung stattgefunden hat und die Finanzbehörde nachträglich keine neuen Erkenntnisse gewonnen hat. Sind zwischenzeitlich z. B. neue Beweise erhoben worden, kann allerdings im Interesse des Beteiligten eine erneute Erörterung geboten sein.

 

Rz. 20

Die beantragte Erörterung ist dann nicht geboten, wenn mit dem Antrag des Einspruchsführers erkennbar eine Verfahrensverzögerung angestrebt wird.[4] Die Erörterung soll der gegenseitigen Information und dem Meinungsaustausch dienen. Sie ersetzt jedoch nicht die gebotene Mitwirkung des Beteiligten im Einspruchsverfahren. Die Einspruchsbegründung soll vor der Erörterung des Sach- und Rechtsstands liegen. Der Erörterungsantrag hindert demgemäß die Finanzbehörde nicht, eine Ausschlussfrist gem. § 364b AO für die Abgabe von Erklärungen oder Bezeichnung von Beweismitteln zu setzen. Ob ein Antrag auf Erörterung nur der Verschleppung dient, kann aber nur dann beurteilt werden, wenn dargelegt wird, warum die Erörterung sinnvoll ist.[5]

 

Rz. 20a

Der Antrag auf Erörterung darf umgekehrt auch nicht zu dem Versuch einer Verfahrensbeschleunigung missbraucht werden. Der Finanzbehörde muss eine angemessene Einarbeitungszeit zugebilligt werden, da sonst eine Erörterung nicht sachdienlich ist.[6]

 

Rz. 20b

Der Antrag auf Erörterung darf auch nicht dazu benutzt werden, um die Nichterfüllung von Mitwirkungspflichten zu umgehen. So kann die Erörterung von der Finanzbehörde ermessensfehlerfrei abgelehnt werden, wenn der Einspruchsführer in einem Schätzungsfall bisher noch keine Steuererklärung abgegeben hat.[7]

 

Rz. 21

Unter diesem Gesichtspunkt kann die Finanzbehörde nach § 364a Abs. 2 Satz 1 AO von einer beantragten Erörterung mit mehr als 10 Beteiligten absehen. Da primär die Erörterung mit dem Bevollmächtigten stattfinden soll, ist hier auf die Anzahl der Bevollmächtigten abzustellen. Die Finanzbehörde kann die Beteiligten auffor...

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