Rz. 79

Die angemessene Entscheidungsfrist[1] läuft nicht ab, wenn die Behörde für die Verzögerung der Sachentscheidung einen zureichenden Grund hat und dies dem Einspruchsführer auch mitgeteilt[2] hat. Zureichender Grund ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.

Ob für das Fehlen der Entscheidung ein rechtfertigender Grund vorliegt, der die Entscheidungsfrist noch als "angemessen" erscheinen lässt, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.[3] Dabei sind einerseits der sachliche Umfang und die rechtlichen Schwierigkeiten des Falls und andererseits das Interesse des Antragstellers an einer baldigen Entscheidung gegeneinander abzuwägen.[4] Ein zureichender Grund liegt vor, wenn es nach den besonderen Umständen des Einzelfalls einleuchtend erscheint, dass das Einspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen wurde.[5]

Die Behörde hat den Grund darzulegen, der sie daran gehindert hat, die Entscheidung zu treffen.[6] Wenn dieser Grund die Verfahrensverzögerung über die Regelentscheidungsfrist[7] nicht rechtfertigt, ist der Einspruch zulässig.

 

Rz. 80

Verzögerungen im Entscheidungsprozess aus Gründen, die von der Behörde zu vertreten sind, können die Entscheidungsfrist nicht verlängern. Behördliche Organisationsmängel gehen nicht zulasten des Beteiligten. Personalmangel und demzufolge Arbeitsüberlastung[8], Personalausfall durch Krankheit oder Urlaub[9] liegen in der Sphäre der Finanzbehörde und stellen demgemäß keinen zureichenden Grund für die Untätigkeit dar.[10] Das Fehlen der Steuerakten ist regelmäßig kein zureichender Grund für die Verfahrensverzögerung, wenn sich die Behörde die Akten kurzfristig beschaffen kann.[11]

 

Rz. 81

Kein zureichender Grund sind auch Schwierigkeiten bei der Rechtsfindung.[12] Die Amtsträger müssen in der Lage sein, das Gesetz in angemessener Zeit anzuwenden. Sie können sich nicht darauf berufen, dass

  • Verwaltungsanweisungen nicht vorliegen[13];
  • noch keine Einigung auf der Bund-Länderebene über die Bewertung einer kürzlich ergangenen BFH-Entscheidung erzielt worden sei[14] oder noch keine "Freigabe" für die Anwendung der BFH-Entscheidung erfolgt ist[15];
  • die Veröffentlichung im BStBl einer schon vor Monaten getroffenen BFH-Entscheidung noch nicht erfolgt ist[16];
  • eine Abstimmung der Entscheidung mit der vorgesetzten Behörde oder mit anderen Behörden geboten war.[17]

Auch eine geplante Gesetzesänderung berechtigt grundsätzlich nicht zur Verfahrensverzögerung.[18]

 

Rz. 81a

Ein zureichender Grund für die Verzögerung der Entscheidung kann sich auch aus verfahrensökonomischen Gesichtspunkten ergeben, obgleich eine förmliche Anordnung des Ruhens oder eine Aussetzung des Verwaltungsverfahrens nicht vorgesehen ist. Das Abwarten der noch ausstehenden Entscheidung in einem finanzgerichtlichen Verfahren, in dem dieselbe Streitfrage entscheidungserheblich ist wie im Antrag, kann die Nichtentscheidung rechtfertigen[19], sofern das "Musterverfahren" noch anhängig ist.[20] Auch das Abwarten einer Entscheidung des EuGH über einen Vorlagebeschluss des BFH kann die Verfahrensverzögerungen rechtfertigen.[21] Über weitere Streitfragen muss die Behörde aber eine Teileinspruchsentscheidung gem. § 367 Abs. 2a AO treffen.[22]

 

Rz. 82

Ein zureichender Grund für die Untätigkeit der Finanzbehörde kann sich demgemäß nur durch Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung ergeben.[23] Hierbei hat sich die Finanzbehörde auf die Aufklärung der entscheidungserheblichen Tatsachen zu beschränken. Dies zwingt zur präzisen Subsumtion des Sachverhalts unter den Norminhalt. Für die Entscheidung unerhebliche Ermittlungen rechtfertigen die Verlängerung der Entscheidungsfrist nicht. Die Finanzbehörde hat alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um das Verwaltungsverfahren zu fördern.[24]

Ein zureichender Grund kann das Erfordernis sein, ein Sachverständigengutachten einholen zu müssen.

Ob unter diesem Gesichtspunkt das Abwarten einer Außenprüfung oder des Prüfungsberichts die Finanzbehörde entlastet[25], wird von der Möglichkeit zur anderweitigen Sachverhaltsermittlung und der Bedeutung des Falls abhängen.[26]

Notwendige Auslandsermittlungen können die Verfahrensverzögerung rechtfertigen.[27]

 

Rz. 83

Ein zureichender Grund liegt dann vor, wenn der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten verletzt hat.[28] Dies gilt besonders, wenn der Antragsteller sich zu Anfragen der Behörde zwecks Aufklärung des Sachverhalts[29] nicht geäußert hatte[30] bzw. selbst angekündigte Beweismittel auch erbracht werden.[31] Hierzu gehört es auch, dass der Beteiligte zeitnah eine Begründung des Antrags gibt. Für erforderliche Mitwirkungshandlungen des Beteiligten oder Dritter hat die Finanzbehörde eine angemessene Erledigungsfrist zu setzen und diese zu überwachen.

 

Rz. 84

Hat der Einspruchsführer die Zurückstellung der Entscheidung angeregt, so ist der Untätigkeitseinspruch erst zulässig, wenn er eindeutig von seiner Anregung abrückt und danach eine für die sachliche Prüfung angemessene Frist ergebnis...

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