Rz. 32

Nach Abs. 1 S. 2 Nr. 1 kann die Steuerfestsetzung vorläufig vorgenommen oder ausgesetzt werden, wenn ungewiss ist, ob und wann ein Vertrag mit einem anderen Staat für die Steuerfestsetzung wirksam wird. Diese Regelung gilt nur zugunsten des Stpfl.; die Vorläufigkeit ist nur zulässig, wenn und soweit zu erwarten ist, dass der völkerrechtliche Vertrag die Stellung des Stpfl. für den fraglichen Vz verbessern wird. Zu völkerrechtlichen Verträgen vgl. § 2 AO; in Betracht kommen vor allem DBA.

 

Rz. 33

Die Vorläufigkeit ist bereits zulässig, wenn ungewiss ist, ob und wann diese Verträge für die Steuerfestsetzung wirksam werden. Ungewiss kann also sein, ob ein solcher Vertrag überhaupt wirksam wird, und ab welchem Zeitraum die Wirksamkeit eintritt. Nicht ungewiss darf dagegen sein, dass er sich im Fall des Inkrafttretens zugunsten des Stpfl. auswirken wird. Da völkerrechtliche Verträge der Zustimmung der Parlamente der beteiligten Staaten bedürfen und erst nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft treten, dann u. U. aber auch insgesamt oder hinsichtlich einzelner Regelungen rückwirkend, kann sich eine verhältnismäßig lange Zeit der Unsicherheit ergeben.

 

Rz. 34

Diese Regelung der Zulässigkeit der Vorläufigkeit ist sehr weitgehend. An sich ist immer ungewiss, ob ein neues DBA abgeschlossen oder ein bestehendes geändert sowie ab wann es in Kraft treten wird. Man wird die Zulässigkeit durch ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einschränken müssen. Es müssen danach konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass überhaupt ein Vertrag abgeschlossen oder geändert werden soll; es müssen also zumindest die Verhandlungen begonnen haben. Außerdem muss nach den vorliegenden Vertragsentwürfen oder den Bekundungen der Verhandlungsparteien zu erwarten sein, dass das DBA für den fraglichen Vz gelten soll. Da die (vorläufige) Steuerfestsetzung immer nach Ablauf des Vz erfolgt und der Tatbestand der Nr. 1 nur vorliegt, wenn zu diesem Zeitpunkt das DBA noch nicht in Kraft getreten ist, kann es sich nur um Fälle mit rückwirkendem Inkrafttreten handeln. Da völkerrechtliche Verträge i. d. R. als innerstaatliche Gesetze keine Rückwirkung entfalten, müssen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Abkommen oder einzelne Bestimmungen auf den in der Vergangenheit verwirklichten Sachverhalt anzuwenden sein wird. Das ist etwa der Fall, wenn der Entwurf der Klausel über das Inkrafttreten vorliegt oder die Vertragsparteien ihre Absicht, den Vertrag oder einzelne Regelungen rückwirkend in Kraft zu setzen, verkündet haben.

 

Rz. 35

Es muss zu erwarten sein, dass der Vertrag für den Stpfl. günstig wirken wird. Dies kann aufgrund der veröffentlichten Entwürfe für den Vertrag beurteilt werden. Es genügt aber auch, wenn eine solche günstige Regelung zu erwarten ist, etwa weil dies dem DBA-Musterabkommen oder der deutschen Verhandlungsgrundlage entspricht und eine solche Regelung üblicherweise in den deutschen internationalen Verträgen vereinbart zu werden pflegt (z. B. Betriebsstätten- oder Belegenheitsprinzip).

 

Rz. 36

Der Stpfl. hat einen Rechtsanspruch darauf, dass die Steuerfestsetzung bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen vorläufig durchgeführt wird. Das Ermessen der Finanzbehörde ist insoweit auf Null reduziert. Soweit die Finanzverwaltung die Ansicht vertreten sollte, dass insoweit ein Ermessensspielraum besteht und die Vorläufigkeit nur dann vorzunehmen ist, soweit das FA hierzu von dem BMF oder den obersten Finanzbehörden der Länder angewiesen ist[1], ist dem nicht zu folgen.

 

Rz. 37

Die Regelung ist eingeführt worden durch Gesetz v. 19.12.1985, BStBl I 1985, 735 und trat nach Art. 97 § 1 Abs. 2 EGAO für alle bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.1987 anhängigen Verfahren in Kraft.

[1] So AE-AO, zu § 165 Nr. 6.

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