Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigung von Kindergeld. Krankheitsbedingte ergänzende Unterbringung des Kindes in einem Internat. Aufteilung des Kindergeldes. Ermessen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Abzweigung des Kindergeldes an das Jugendamt ist rechtswidrig, wenn das Kind zwar krankheitsbedingt auf Kosten des Jugendamts in einem Internat untergebracht ist, der Kindergeldberechtigte aber an Wochenenden, Feiertagen und in den Schulferien durch die Haushaltsaufnahme des Kindes Betreuungsunterhalt leistet.

2. Leistet neben dem Träger der Jugendhilfe auch der Kindergeldberechtigte Barunterhalt, so hat die Familienkasse spätestens in der Einspruchsentscheidung Ermessenserwägungen über die Aufteilung des Kindergeldes anzustellen. Eine Ermessensreduzierung auf Null dahin, dass nur eine Abzweigung in voller Höhe in Betracht käme, besteht nicht.

 

Normenkette

EStG 2002 § 74 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 62 Abs. 1; AO § 5

 

Tenor

Die in dem Bescheid der Beklagten vom 27.8.2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2003 erfolgte Abzweigung des Kindergeldes in Höhe von monatlich 154 EUR an das Landratsamt M wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Abzweigung des Kindergeldes an das Jugendamt des Landratsamts M (Beigeladener).

Die Klägerin ist die Mutter des F, geb. 8.5.1991, der sich krankheitsbedingt ab August 2002 in dem Internat Schloss G bei E befand, wo er zur Schule ging und ganztags betreut wurde. Nach dem übersandten Prospekt versteht sich das Internat als Ergänzung und nicht als Ersatz für das Familienleben, so dass eine Heimfahrt zu den Eltern an jedem zweiten Wochenende Pflicht ist. Das beigeladene Landratsamt leistete vom 31.7.2002 bis zum 8.6.2005 Hilfe zur Erziehung gemäß § 34 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII in Form der Unterbringung in einer betreuten Wohnform (Internat Schloss G.). Die Klägerin leistete keinen Kostenbeitrag an das Jugendamt. Dieses beantragte gemäß § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) die Auszahlung des anteiligen Kindergeldes. Die Familienkasse des Arbeitsamts – jetzt: Agentur für Arbeit – O (Beklagte) setzte mit Bescheid vom 27.8.2002 ab August 2002 für F Kindergeld in Höhe von 154 EUR fest und zweigte diesen Betrag in voller Höhe an das Jugendamt M mit der Begründung ab, die Aufwendungen des Landratsamts für das Kind würden überwiegen; die Abzweigung sei in dieser Höhe angemessen, weil das Kindergeld insoweit für den Kindesunterhalt bestimmt sei. Gegen diese Abzweigung legte die Klägerin mit der Begründung Einspruch ein, das Kindergeld solle aufgeteilt werden, da sie ebenfalls Unterhalt leiste. Das Kind halte sich nicht nur im Internat, sondern bis 20.8.2003 mindestens 170 Tage bei ihr auf und werde von ihr versorgt. Sämtliche Kosten der häuslichen Betreuung würden das Kindergeld überschreiten. Am 12.3.2003 wies die Familienkasse den Einspruch zurück, weil die Klägerin ihre gesetzliche Unterhaltspflicht lediglich mit einem Betrag erfülle, der geringer als das monatliche Kindergeld sei.

Mit der hiergegen erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, eine Abzweigung hätte nicht erfolgen dürfen, da der unterhaltsrechtliche Aufwand für F allein durch die Klägerin nicht getragen werden könne. Der Sohn halte sich zwar die Hälfte der Zeit im Internat auf, sie habe ihn aber für das gesamte Jahr vollständig einzukleiden, für 170 Tage zu verköstigen und den von ihm genutzten Wohnraum bereitzuhalten. Ihre Ehe mit dem Kindsvater befinde sich seit 1999 im Scheidungsprozess. Die anteiligen Kosten für F eigengenutzten Wohnraum würden sich auf monatlich 260,85 EUR belaufen. Hinzu kämen noch 100 EUR im Monat für Verpflegung und Hygiene für 170 Tage und insbesondere Anschaffungen für den Aufenthalt im Internat. Das monatliche Kleidungsgeld von 46 EUR reiche nicht aus, so dass von einem weiteren Aufwand von ca. 25 EUR ausgegangen werde. Ihre monatlichen Kosten für F würden demnach 385 EUR betragen. Die Klägerin sei arbeitslos und erhalte lediglich Unterhaltsgeld im Rahmen einer Umschulung in Höhe von monatlich 839,93 EUR. Allein ihre Kreditbelastungen und sonstige Wohnkosten würden monatlich 1.237,72 EUR betragen. Die Klägerin könne keinen Kostenbeitrag an das Landratsamt M zahlen. Dies alles hätte bei der Abzweigung des Kindergeldes im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden müssen. Der Unterhalt nach § 1612 Abs. 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) könne nicht nur durch die Entrichtung einer Geldrente, sondern auch durch Betreuung abgedeckt werden. Im Rahmen der Trennung der Eheleute wäre bestimmt worden, dass die Klägerin den Unterhalt im Wege der Betreuung und ihr Ehemann den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldre...

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