Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Kindergeldanspruch der mit den Kindern in Polen lebenden Kindsmutter bei Tätigkeit des Kindsvaters als ein nach Deutschland entsandter Arbeitnehmer

 

Leitsatz (redaktionell)

Die mit den Kindern in Polen lebende, nicht erwerbstätige Kindsmutter hat keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld, wenn der Kindsvater bei einem polnischen Arbeitgeber sozialversicherungspflichtig beschäftigt und von diesem nach Deutschland entsandt ist.

 

Normenkette

EStG §§ 62-63; EGVO 883/2004 Art. 12, 67

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 01.07.2020; Aktenzeichen III R 22/19)

 

Tenor

1. Das Verfahren wird hinsichtlich Kindergeld für Jan. 2015 nach § 72 Abs. 2 S. 2 FGO eingestellt.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Klägerin werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

 

Tatbestand

Die Klägerin (Kl.), eine polnische Staatsangehörige, ist die Mutter der Kinder D (geboren …), E (geboren …) und F (geboren …). Der Vater der Kinder ist ebenfalls polnischer Staatsbürger. Er war vom 16. Febr. bis zum 31. Okt. 2015 bei der polnischen Firma C beschäftigt (Arbeitsvertrag [Bl. 19 KG], Lohnsteuerbescheinigung [Bl. 159 KG]), von dieser nach Deutschland entsandt (Arbeitgeber-Bescheinigung, Bl. 28 GA) und in Polen sozialversichert (Bl. 161 KG).

Die Kl. beantragte am 17. März 2016 die Gewährung von Kindergeld für ihre drei Kinder ab Aug. 2014, da der Vater der Kinder ab diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland lebe. Mit Bescheid vom 28. Juni 2016 lehnte die FK die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Jan. bis Aug. 2015 ab (Bl. 147 KG). Begründet wurde die Ablehnung mit dem fehlenden Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt und der Nichtausübung einer Erwerbstätigkeit in Deutschland. Im Einspruchsverfahren wies die FK darauf hin, dass der Vater der Kinder im Zeitraum Febr. bis Okt. 2015 nach Deutschland entsandt worden sei. Für entsandte Arbeitnehmer werde ein inländischer Wohnsitz nach Art. 60 VO (EG) Nr. 987/2009 nicht fingiert. Mit Einspruchsentscheidung vom 21. Nov. 2016 wies die FK den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Kl. macht geltend, der Vater der Kinder, mit dem sie nicht verheiratet sei, halte sich seit Aug. 2014 ununterbrochen in Deutschland auf und gehe einer abhängigen Beschäftigung nach. Daher stünde der Kl. das Kindergeld zu. Es widerspreche der Rechtsprechung des EuGH und des BFH, dass die FK von ihr den Nachweis eines inländischen Wohnsitzes verlange. Die Kl. verweist auf das BFH-Urteil vom 14. Mai 2014, Az.: XI R 56/10.

Die Kl. beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juni 2016 und der Einspruchsentscheidung vom 21. Nov. 2016 die Beklagte zu verpflichten, ihr Kindergeld für die Kinder D, geboren am …, E, geboren am …, und F, geboren am …, für den Zeitraum Februar bis August 2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter einverstanden erklärt (Bl. 9, 25 GA).

 

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist unbegründet. Die Kl. hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Febr. bis Okt. 2015.

Die Kl. hatte im Streitzeitraum weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Sie lebte mit ihren Söhnen in Polen und war dort nicht erwerbstätig.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Anspruchsberechtigung der Kl. ist daher grundsätzlich, ob der Kindsvater im Streitzeitraum die nationalen Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 i.V.m. § 63 EStG erfüllte (BFH-Urteil vom 27. Juli 2017 – III R 17/16, BFH/NV 2018, 201 Rz. 17). Unerheblich ist, dass die Söhne ihren Wohnsitz in Polen haben (vgl. § 63 Abs. 1 S. 6 EStG). Im Falle der Kindergeldberechtigung des Kindsvaters nach nationalem Recht ist zu prüfen ob in Bezug auf ihn der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 eröffnet und Deutschland danach für die Gewährung von Kindergeld der zuständige Mitgliedstaat ist (BFH in BFH/NV 2018, 201 Rz. 18). Ist dies der Fall, wird gemäß Art. 67 S. 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 S. 2 der VO Nr. 987/2009 ein Inlandswohnsitz der Kl. fingiert.

Der Vater der Kinder fällt als polnischer Staatsangehöriger nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundverordnung. Das Kindergeld nach dem EStG ist eine Familienleistung i.S.d. Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet ist.

Gemäß Art. 11 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 unterliegen die von der Verordnung erfassten Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Hier folgt die Anwendung der polnischen Rechtsvorschriften aus Art. 12 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004. Nach dieser Vorschrift unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedsstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des...

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