Leitsatz
Ein vom Reiseveranstalter obligatorisch angebotener Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung für die Kunden kann eine selbstständige steuerfreie Leistung neben der unter § 25 UStG 1993 fallenden Reiseleistung sein.
Normenkette
§ 4 Nr. 10 Buchst. b, § 25 UStG
Sachverhalt
Ein Reiseveranstalter bot obligatorisch zusammen mit den üblichen Reiseleistungen (Beförderung, Unterkunft, Verpflegung) auch den Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung als eigene Leistung an. Den dafür erforderlichen Versicherungsschutz verschaffte er sich durch Abschluss von Gruppenversicherungsverträgen zugunsten der Reiseteilnehmer bei Versicherungs-Gesellschaften; hierfür hatte er aufgrund eigener Rechtspflicht entsprechende Beiträge zu entrichten. Das von den Reisekunden gezahlte Entgelt für diese Versicherung behandelte er als umsatzsteuerfreie "Verschaffung von Versicherungsschutz" (§ 4 Nr. 10 Buchst. b UStG).
Das FA meinte, weil die der Abschluss der Versicherung obligatorisch gewesen sei, handle es sich um eine einheitliche Leistung. FG und BFH gaben dem Kläger Recht.
Entscheidung
Das FG hatte die Reiserücktrittskostenversicherung im Verhältnis zur Pauschalreise schon wegen des erheblich geringeren wirtschaftlichen Gewichts, aber vor allem deswegen als nebensächlich angesehen, weil diese kein der Hauptleistung (Reiseleistung) innewohnendes Risiko versichere, sondern bestimmte Risiken im persönlichen Bereich des Reisenden (wie z.B. Tod oder Unfall) und damit einen von der Durchführung der Reise unabhängigen Sicherungszweck verfolge. Diese – mögliche – Würdigung lag auf der Linie zur Rechtsprechung des BFH zu Leistungsbündeln, mit denen der Unternehmer seine "typische" Leistung zusätzlich mit Versicherungsschutz anbietet (Versicherungsschutz beim Gebrauchtwagenkauf) und war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Hinweis
Fraglich war, ob eine obligatorisch mit einer Reise abzuschließende Reiserücktrittskostenversicherung Nebenleistung der Reiseleistung sei.
1. § 25 UStG enthält eine Sonderregelung für Reiseleistungen eines Unternehmers, "die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind", soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an einen Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige Leistung. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute kommen (§ 25 Abs. 1 Satz 5 UStG).
§ 25 UStG soll die gemeinschaftsrechtliche Sonderregelung für Reisebüros in Art. 26 der 6. EG-RL umsetzen.
2.§ 25 UStG definiert nicht den Begriff der "Reiseleistungen" und Art. 26 der 6. EG-RL nicht den dort verwendeten Begriff der "Umsätze von Reisebüros und Reiseveranstaltern". Der EuGH hatte dazu bereits präzisiert, Letztere seien dadurch gekennzeichnet, dass sie sich meist aus mehreren Leistungen, insbesondere Beförderungs- und Unterbringungsleistungen zusammensetzen, die teils im Ausland und teils in dem Mitgliedstaat erbracht werden, in dem das Reisebüro seinen Sitz oder eine feste Niederlassung hat. Die Gewährung von Versicherungsschutz fällt nicht unter die vorbezeichneten typischen Reiseleistungen.
3. Zur Feststellung, ob eine Nebenleistung oder mehrere selbstständige Hauptleistungen vorliegen, ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Maßgebend ist die Sicht des Durchschnittsverbrauchers. Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand der Auslegungshinweise zu entscheiden, ob mehrere zusammen angebotene Umsätze des Unternehmers als selbstständig oder als einheitlich zu beurteilende Haupt- und Nebenleistung zu erfassen sind (so ausdrücklich der EuGH).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.7.2006, V R 24/02