Entscheidungsstichwort (Thema)

Telefonüberwachtung. Tatverdacht. Versuch der Beteiligung. Tötungsdelikt. Beweisverwertungsverbot. hypothetischer rechmäßiger Ersatzeingriff nach Polizeirecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 100a StPO erfordert nur einen einfachen Tatverdacht, der allerdings auf bestimmten Tatsachen beruhen bzw. durch schlüssiges Tatsachenmaterial ein gewisses Maß an Verdichtung erreicht haben muss: Es müssen Umstände vorliegen, die nach der Lebenserfahrung, auch der kriminalistischen Erfahrung, in erheblichem Maße darauf hindeuten, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Tat begangen hat.

2. Der Tatverdacht des Versuchs der Beteiligung an einem Tötungsdelikt (Ehrenmord) kann sich aus hinreichend differenzierten Angaben eines in seiner Identität geschützten Zeugen ergeben.

3. Auch bei einer zu Unrecht angeordneten Maßnahme nach § 100 a StPO scheidet ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der so gewonnenen Erkenntnisse aus, wenn die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation rechtmäßig auf die präventiv-polizeiliche Eingriffsgrundlage des § 17 Abs. 1 Nr. 2 Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen (PolG) hätte gestützt werden können.

 

Normenkette

StPO § 100a Abs. 1-2; StGB §§ 30, 211; PolGNW § 17 Abs. 1; PolG NW § 17 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 10 Ks 11/12)

 

Tenor

Die Haftbeschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs.1 StPO) als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

1. Dem Angeklagten N wird zur Last gelegt, gemeinsam mit dem Mitangeklagten X und dem derzeit flüchtigen G einen Mordanschlag auf den Nebenkläger verübt zu haben. Der Angeklagte X und G hätten am 8. Februar 2012 in Bielefeld nach dem Nebenkläger gesucht, ihn in einem Café schließlich gefunden und sodann auf offener Straße in der Innenstadt überfallen. Sie hätten ihn mit einem Messer in Rumpf, Hals und Kopf gestochen, um ihn zu töten. Ein zufällig den Tatort passierender Arzt habe das Leben des schwerverletzten Nebenklägers gerettet. Der Angeklagte N, Z-s Vater und G-s Halbbruder, habe die Tat mit X und G geplant und wenige Minuten vorher per Telefon die beiden zur Tat aufgefordert und das Zeichen zum Losschlagen gegeben. Gemeinsames Ziel des Angriffs sei es gewesen, den Tod des N zu rächen. Dieser, ein Sohn des Angeklagten N und Bruder Z, war seinerseits am 12. Juni 2011 in C2 bei einem Hochzeitsfest mutmaßlich von zwei Söhnen des Nebenklägers ermordet worden.

2. Der Angeklagte N wurde am 9. Februar 2012 festgenommen und befindet sich seither aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 9. Februar 2012 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

3. Die Staatsanwaltschaft erhob am 30. Mai 2012 Anklage gegen ihn und X wegen versuchten Mordes zum Landgericht Bielefeld. Das Schwurgericht eröffnete mit Beschluss vom 28. Juni 2012 das Hauptverfahren, ließ die Anklage zur Hauptverhandlung zu und ordnete die Haftfortdauer an.

Die Hauptverhandlung begann am 3. August 2012 und wurde nach Unterbrechung am 14. August 2012 fortgesetzt. Am 20. August 2012 beschloss das Schwurgericht außerhalb der Hauptverhandlung, die Hauptverhandlung auszusetzen, da die Kammer nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Mit weiterem Beschluss vom 20. August 2012 stellte das Schwurgericht fest, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sei erforderlich.

Am 21. August 2012 begann die Hauptverhandlung erneut und wurde abermals ausgesetzt, da eine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten N nicht auszuschließen sei. Die Hauptverhandlung begann schließlich am 31. August 2012 erneut.

4. Der Angeklagte N hat mit Schriftsätzen seiner Verteidiger vom 10. und 17. Dezember 2012 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Er bringt im Wesentlichen vor, ein dringender Tatverdacht bestehe nicht. Die Anklage stütze sich ausschließlich auf eine Aufzeichnung seiner abgehörten Telefongespräche vom 8. Februar 2012, die jedoch einem Beweisverwertungsverbot unterlägen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Haftbeschwerde ist nicht begründet, da die Voraussetzungen der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten N gemäß § 112 StPO erfüllt sind:

1. Der Angeklagte N ist des versuchten Mordes gemäß §§ 211, 22, 23 StGB dringend verdächtig:

a) Der Angeklagte N hat sich im bisherigen Verfahrensverlauf allerdings ebenso wenig zur Sache eingelassen wie der Angeklagte X, während G flüchtig ist und daher bislang nicht vernommen werden konnte. Unmittelbare Zeugen der Tat des Angeklagten N stehen nicht zur Verfügung. Die Zeugen am Tatort in Bielefeld - vorwiegend Passanten und Personal umliegender Geschäfte - können zu seiner Beteiligung nichts aussagen, da er auch nach dem Anklagevorwurf nicht selbst dort zugegen gewesen sein soll.

Der dringende Tatverdacht ergibt sich indes aus einer polizeilichen Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation des Angeklagten N unmittelbar vor und nach der Tat am 8. Februar 2012. Die Telekommunikationsüberwachung resultierte aus einem anderen, damals bere...

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