Leitsatz

* 1. Ein Fehler ist offenbar, wenn er auf der Hand liegt, also durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 17.2.1993, X R 47/91, BFH/NV 1993, 638 m.w.N.).

2. Es ist zwar nicht erforderlich, dass die Unrichtigkeit aus dem Bescheid selbst erkennbar ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkannt werden kann. Offenbar i.S.d. § 129 AO ist ein Fehler dennoch immer nur dann, wenn er als solcher auf der Hand liegt und aus sich heraus offen zutage tritt, nicht aber, wenn er erst durch Abfrage subjektiver Einschätzungen seinerzeit Beteiligter ermittelt und damit "offenbart" wird.

*Leitsätze nicht amtlich

 

Normenkette

§ 129 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine AG, nahm in den Jahren 1988 und 1989 sowie im Streitjahr 1990 ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibungen auf ihre Beteiligung an einer Organgesellschaft vor. Das FA hatte zunächst erklärungsgemäß veranlagt und die Abschreibungen nicht beanstandet. Sowohl der Bescheid über den einheitlichen GewSt-Messbetrag 1990 als auch jener über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31.12.1990 ergingen am 25.9.1991 unter dem VdN.

Anlässlich einer bei der Klägerin für den Zeitraum 1987 bis 1990 durchgeführten Außenprüfung vereinbarten die Prüferin, StAR"in H, und die Klägerin am 3.12.1991 die Frage, ob die gewinnabführungsbedingte Teilwertabschreibung auf die Beteiligung an der Organgesellschaft gewerbesteuerlich hinzuzurechnen sei, im Hinblick auf das seinerzeit noch ausstehende BFH-Urteil vom 2.2.1994, I R 10/93 (BStBl II 1994, 768) zunächst offen zu lassen. Die Prüferin erkrankte sodann. Sie fertigte ihren Prüfungsbericht deshalb erst am 7.3.1996 und machte darin die Teilwertabschreibungen in Einklang mit dem vorgenannten Senatsurteil rückgängig.

Zwischenzeitlich – im Jahr 1995 – hatte ein anderer Prüfer, StAR E, bereits die Anschlussprüfung für die Folgejahre 1991 bis 1993 durchgeführt. Auch er versagte die Teilwertabschreibungen und damit auch den darauf zurückzuführenden Gewerbeverlust in seinem Prüfungszeitraum. Er änderte folglich die GewSt-Messbescheide 1991 bis 1993 und hob jeweils den VdN auf. Zugleich änderte er durch Bescheid vom 29.12.1995 auch den GewSt-Messbescheid 1990 vom 25.9.1991, indem er in dieses Jahr vorgetragene Gewerbeverluste infolge der Abschreibungen nicht mehr berücksichtigte. Der VdN wurde auch bezogen auf diesen Bescheid aufgehoben. Den zu diesem Bescheid gemachten Erläuterungen zufolge lagen der geänderten Festsetzung die Ergebnisse der durchgeführten Prüfung zugrunde.

Mit Bescheid vom 21.5.1996 änderte das FA diesen GewSt-Messbetrag 1990 auf der Basis des Prüfungsberichts der Prüferin H vom 7.3.1996 erneut. Die Teilwertabschreibungen wurden dem Gewinn aus Gewerbebetrieb nunmehr hinzugerechnet. Diese Änderung stützte das FA auf § 129 i.V.m. § 164 AO. Bei der Aufhebung des VdN durch den Prüfer E sei diesem ein Versehen unterlaufen: Er habe bei Durchführung der Änderung im EDV-Verfahren versehentlich die Kennzahl 10 mit dem Wert 24 (Änderung gem. § 164 Abs. 2 AO und Aufhebung des VdN) statt mit dem Wert 25 (bloße Änderung gem. § 164 Abs. 2 AO) eingegeben.

 

Entscheidung

Anders als die Klage vor dem FG (EFG 2003, 10) war die Revision der Klägerin erfolgreich.

Der BFH beließ zwar keinen Zweifel daran, dass das FG befugt war, über das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit in der Kennzahleneingabe durch den Prüfer Beweis zu erheben. Der BFH schließt ein solches Aufklärungsbemühen also nicht von vornherein aus. Er stellt jedoch klar, dass sich dadurch nur "flankierende" Erkenntnisse gewinnen lassen. Es komme nicht auf "innere" Absichten und Motive der handelnden Personen an, sondern nur darauf, was tatsächlich nach außen dringe.

Vor diesem Hintergrund war der Fehler, der dem Prüfer unterlaufen war, im Urteilsfall nicht offenbar. Es war durchaus denkbar, dass er über die Teilwertabschreibung irrte. Seine nachfolgenden Zeugenaussagen mochten glaubhaft sein; sie waren jedoch nicht geeignet, die Unrichtigkeit "offenbar" werden zu lassen. Insofern wurde das FA im Ergebnis von der Feststellungslast getroffen; diese ging zu ihren Lasten.

 

Hinweis

Das Urteil ist amtlich nicht veröffentlicht. Ihm kann aber eine große praktische Bedeutung zum Phänomen der sog. offenbaren Unrichtigkeit gem. § 129 AO und die dadurch ausgelöste Berichtigungsmöglichkeiten zukommen:

1. Zwar wiederholt der BFH zunächst nur eine "alte" Rechtsprechung, nämlich jene, dass eine Unrichtigkeit, welche dem Sachbearbeiter im Teilbezirk oder auch dem "veranlagenden" Betriebsprüfer bei der Eintragung einer falschen Kennziffer in den Eingabewertbogen unterläuft, eine offenbare i.S.d. § 129 AO sein kann, vorausgesetzt, es ist praktisch ausgeschlossen, dass es sich um einen Rechts- oder Tatsachenirrtum handelt. Bezogen auf diese Einschränkung genügt die "nicht nur theoretische Möglichkeit" des Rechtsirrtums, um eine offenbare Unrichtigke...

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