Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Erlass von bestandskräftig festgesetzter Umsatzsteuer, soweit diese aus dem Betrieb von Geldspielautomaten resultieren

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Zur gerichtlichen Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen nach § 102 FGO.
  2. Bestandskräftig festgesetzte Steuern sind nur dann im Billigkeitsverfahren zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Stpfl. nicht zuzumuten war, sich hiergegen in dem dafür vorgesehenen Festsetzungsverfahren rechtzeitig zu wehren.
  3. Allein der Umstand, dass eine bestandskräftig festgesetzte Steuer im Widerspruch zu einer später entwickelten oder geänderten Rechtsprechung steht, rechtfertigt keinen Steuererlass nach § 227 AO.
  4. Für die Jahre 1985, 1993 und 1998 war es nicht offensichtlich und eindeutig fehlerhaft, Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielautomaten mit Geldeinsatz als steuerpflichtig zu behandeln.
  5. Soweit bestandskräftig festgesetzte USt aus dem Betrieb von Geldspielautomaten resultiert, kommt ein Erlass nicht in Betracht.
 

Normenkette

AO § 227

 

Streitjahr(e)

1985, 1993, 1998

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 11.11.2010; Aktenzeichen XI B 107/09)

 

Tatbestand

Streitig ist der Erlass von festgesetzten und entrichteten Beträgen zur Umsatzsteuer 1985, 1993 und 1998, soweit diese aus dem Betrieb von Geldspielautomaten resultieren.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 19.08.2003 die Feststellung der Nichtigkeit sämtlicher seit 1984 erlassener Umsatzsteuerbescheide beantragt und gleichzeitig Einsprüche gegen die betreffenden Umsatzsteuerbescheide eingelegt. Hilfsweise hat sie den Erlass der Umsatzsteuer beantragt, die auf den Betrieb von Glücksspielgeräten mit Geldeinsatz entfällt. Als Begründung führt sie an, dass die Bundesrepublik Deutschland es unterlassen habe, Art. 13 Teil B Buchst. f) der 6. EG-Richtlinie ordnungsgemäß in nationales Recht umzusetzen.

Der Beklagte hat die Feststellung der Nichtigkeit abgelehnt und die Einsprüche gegen die Bescheide zur Umsatzsteuer 1984 bis 2001 als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichteten Verfahren vor dem erkennenden Senat und dem BFH waren erfolglos.

Den (Hilfs-)Antrag auf Erlass der festgesetzten Beträge zur Umsatzsteuer 1984 bis 2000 hat der Beklagte mit Bescheid vom 23.08.2005 abgelehnt mit der Begründung, dass ein solcher Erlass weder aus persönlichen noch aus sachlichen Gründen möglich sei.

Hiergegen wendet sich die Klägerin im Einspruchsverfahren. Sie trägt vor, ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen komme in Betracht, wenn der Steuerpflichtige einen gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den jeweiligen Mitgliedstaat geltend machen könne. Dieser Anspruch bestehe, wenn ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliege. Ein solcher sei im Streitfall anzunehmen, da die Bundesrepublik Deutschland vorsätzlich gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Art. 13 Teil B Buchst. f) der 6. EG-Richtlinie verstoßen habe.

Für die Jahre 1984, 1986 bis 1992 und 1994 bis 1996 beantragte sie das Ruhen des Einspruchsverfahrens.

Mit Einspruchsbescheid vom 05.10.2005 wies der Beklagte den Einspruch für die Streitjahre (1985, 1993 und 1998) als unbegründet zurück. Als Begründung führte er an, dass die Voraussetzungen für einen Erlass der Umsatzsteuer nach § 227 AO nicht gegeben seien. Insbesondere sei es der Klägerin seinerzeit zuzumuten gewesen, sich innerhalb der Einspruchsfrist gegen die fehlerhaften Bescheide zu wenden und sich dabei auf die Gemeinschaftswidrigkeit zu berufen. Ein schadensersatzbegründender Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht sei nicht anzunehmen. Es sei damals bereits fraglich gewesen, ob der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe in Art. 13 Teil B Buchst. f) der 6. EG-Richtlinie wegen des Verweises auf die festzulegenden nationalen Bestimmungen und Beschränkungen zur Steuerfreiheit des Glücksspiels überhaupt unmittelbare Wirkung zukomme. Für die Annahme eines gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruchs bestehe vor diesem Hintergrund kein Raum.

Gegen die Ablehnung des Erlasses richtet sich die Klage. Die Klägerin bezieht sich zunächst auf die ständige Rechtsprechung des BFH, wonach bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren (§ 227 AO) zu erlassen sind, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten war, sich hiergegen in dem dafür vorgesehenen Festsetzungsverfahren rechtzeitig zu wehren.

Eine Steuerfestsetzung sei u. a. dann offensichtlich und eindeutig unrichtig, wenn ein (zur Entschädigung verpflichtender) qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliege (BFH Urteil vom 13.01.2005 V R 35/03, BStBl II 2005, 460). Bei der Frage, ob ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliege, seien alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen. Zu diesen Gesichtspunkten gehörten u. a. das Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes und die Entschuldbarkeit des...

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