Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld: Türkische Staatsangehörige mit längerem Türkeiaufenthalt

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Türkische Staatsangehörige, die seit mindestens sechs Monaten in der Bundesrepublik wohnen, haben unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG wie deutsche Staatsangehörige einen Anspruch auf Kindergeld.
  2. Auch wenn sie nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer sind, gelten für sie die Einschränkungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht.
  3. Zum Anspruch türkischer Staatsangehöriger, die unter der Regelung des vorläufigen Europäischen Abkommens (VEA) fallen, auf Kindergeld, wenn diese zwar keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, aber seit mindestens sechs Monaten ihren Wohnsitz im Inland.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1, § 63; AO §§ 8-9

 

Tatbestand

Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie ist seit 31.10.2001 mit dem deutschen Staatsangehörigen A verheiratet. Sie wohnt seit Anfang 2002 mit ihrem Ehemann in X in einer Eigentumswohnung, die im Jahr 1998 von ihrem Ehemann erworben wurde und seit 2003 der Klägerin gehört. Für ihre Einreise nach Deutschland erhielt sie zunächst ein Visum und anschließend eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die regelmäßig bis zum 24.04.2009 verlängert wurde. Ihr Ehemann betreibt mindestens seit 1998 in X eine Gaststätte mit zuletzt etwa 30 Mitarbeitern und erzielt daraus ein Einkommen, das nach den Ermittlungen des Ausländeramts der Stadt X so hoch ist, dass es durchgehend den Lebensunterhalt der Familie sicherstellt. Die Kinder B, C und D sind am 07.01.2003, 23.03.2005 und 05.05.2007 geboren und wohnten ständig im Haushalt ihrer Eltern. Sie sind ebenfalls deutsche Staatsangehörige. Seit ihrer Geburt hat die Klägerin für die drei Kinder Kindergeld bezogen.

Am 23.02.2008 reiste die Klägerin mit ihren Kindern für einen Besuch ihrer Eltern in die Türkei. Der Rückflug war für den 06.05.2008 gebucht. Die Klägerin und ihre Kinder kehrten zu dem geplanten Zeitpunkt nicht nach Deutschland zurück. Weil wegen ihres mittlerweile mehr als sechs Monate andauernden Auslandsaufenthalts ihre eigentlich noch bis April 2009 gültige Aufenthaltserlaubnis erloschen war, beantragte die Klägerin am 27.11.2008 beim deutschen Generalkonsulat in Istanbul eine Aufenthaltserlaubnis für die Rückkehr mit ihren Kindern nach Deutschland in der auf dem Antragsformular ausdrücklich erklärten Absicht der Familienzusammenführung und des fortdauernden Aufenthalts in Deutschland. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 07.07.2009 und nach einem Protest des zwischenzeitlich eingeschalteten späteren Prozessbevollmächtigten der Klägerin förmlich mit Bescheid vom 17.07.2009 erneut abgelehnt. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Nachweis, dass der Ehemann seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe, nicht geführt worden sei. Der gewöhnliche Aufenthalt des deutschen Ehemannes im Bundesgebiet sei Voraussetzung für die Erteilung des Visums.

Aus den beigezogenen Akten der Ausländerbehörde der Stadt X ergibt sich in diesem Zusammenhang, dass aufgrund von Informationen vom Hörensagen, die besagten, dass die Familie in die Türkei ausgereist sei, sowohl der Ehemann der Klägerin, als auch die Klägerin und ihre drei Kinder von Amts wegen im Januar 2009 mit Wegzugsdatum 01.05.2008 aus dem Melderegister der Stadt X gelöscht wurden. Ausweislich des Ausdruckdatums der Melderegisterauskunft ist der Ehemann der Klägerin spätestens am 01.07.2009 mit Einzugsdatum 01.06.2008 mit der unveränderten Adresse in X wieder in das Melderegister eingetragen worden. Aus den Akten der Ausländerbehörde der Stadt X ergibt sich weiter, dass der Ehemann der Klägerin seit 2003 ununterbrochen an seinem Familienwohnsitz gemeldet war und er am 20.02.2009 unter Vorlage einer Verdienstbescheinigung für die Jahre 2006 bis 2008 bei der Ausländerbehörde der Stadt X vorgesprochen und mitgeteilt hatte, dass er weiterhin in Deutschland lebe. Eine frühere oder spätere Anhörung des Ehemanns zu seinem Wohnsitz oder zu den Informationen vom Hörensagen, die zu seiner Abmeldung aus dem Melderegister geführt hatten, ist nicht aktenkundig. Weder die Wiedereintragung des Ehemannes in das Melderegister noch seine Auskunft vom 20.02.2009 über seinen fortdauernden Wohnsitz in X teilte die Ausländerbehörde dem deutschen Generalkonsulat in Istanbul mit. Mit Schreiben vom 01.07.2009 an das deutsche Generalkonsulat verweigerte die Ausländerbehörde der Stadt X ihre Zustimmung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Klägerin, weil der gewöhnliche Aufenthalt der Familie nicht habe geklärt werden können.

Gegen den ablehnenden Bescheid des Generalkonsulats erhob die Klägerin am 29.07.2009 Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin mit dem Antrag, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zwecks Familienzusammenführung zu ihrem in Deutschland wohnenden Ehemann zu erteilen. Am 12.01.2010 verpflichtete sich die Beklagte, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis unter den Voraussetzungen zu erteilen, dass d...

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