vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [III R 4/13)]

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld: Anspruch auf ausländische Familienleistungen – Prüfungspflicht der Familienkasse und des FG

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Für ein Kind, für das im Ausland Leistungen, die dem Kindergeld vergleichbar sind, zu zahlen sind oder entsprechend bei Antragstellung zu zahlen wären, wird kein Kindergeld gezahlt.
  2. Zur tatsächlichen Betreuung eines Kindes nach Art. 4 des Gesetzes über die Bewilligung von Familienleistungen in Polen.
  3. Ist hinsichtlich eines bei den Großeltern in Polen wohnenden Kindes geklärt, dass die Eltern keinen Anspruch auf Familienleistungen in Polen haben, müssen Familienkassen und FG in Wahrnehmung ihrer Aufgaben selbständig überprüfen, ob die Großeltern Anspruch auf Familienleistungen als rechtliche/tatsächliche Betreuer des Kindes haben.
  4. Eine ausdrückliche Negativbescheinigung seitens der in Deutschland arbeitenden und Kindergeld beantragenden Kindesmutter bedarf es nicht.
 

Normenkette

EStG §§ 62, 63 Abs. 1 Nr. 1, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; Gesetz über die Bewilligung von Familienleistungen in Polen Art. 4 Nr. 2

 

Streitjahr(e)

2008

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.12.2014; Aktenzeichen III R 4/13)

BFH (Urteil vom 18.12.2014; Aktenzeichen III R 4/13)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Mutter der am 4. Mai 1993 geborenen Tochter D. Der von der Klägerin seit 1997 geschiedene Vater des Kindes lebt in Polen und hat weder zur Klägerin noch zu seiner Tochter Kontakt.

Seit 2004 lebt die Klägerin mit ihrer Tochter in Deutschland, wo die Klägerin einer selbständigen Arbeit nachgeht. Daher ist sie in Deutschland nicht sozialversichert. Mit Bescheid vom 20. Mai 2005 setzte die Beklagte (Agentur für Arbeit H - Familienkasse) gegenüber der Klägerin Kindergeld für ihre Tochter D ab Oktober 2004 fest.

Im Dezember 2007 zog die Tochter der Klägerin nach Polen, wo sie im Haushalt ihrer Großmutter lebte. Die Klägerin selbst zog am 2. Dezember 2008 ebenfalls nach Polen. Nachdem die Familienkasse von dem Umzug der Tochter nach Polen erfahren hatte, hob sie mit Bescheid vom 26. Oktober 2010 die Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ab Januar 2008 auf. Zur Begründung verwies die Familienkasse darauf, dass nicht nachgewiesen sei, dass die Großmutter in Polen keinen Anspruch auf Kindergeld für ihre Enkeltochter habe.

Gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung legte die Klägerin Einspruch ein. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens setzte die Familienkasse mit Bescheid vom 8. Dezember 2010 gegenüber der Klägerin für den Zeitraum Januar 2008 - Dezember 2008 hälftiges Kindergeld fest. Der weitergehende Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung wies die Familienkasse darauf hin, dass die Großmutter des Kindes aufgrund des Wohnsitzes in Polen einen Anspruch auf Kindergeld habe und dies der Festsetzung von vollem Kindergeld zu Gunsten der Klägerin entgegenstehe.

Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, dass ihr für das Jahr 2008 das volle Kindergeld für ihre Tochter D zustehe, da in Polen niemand einen Anspruch auf Kindergeld für D habe. Ein Anspruch der Klägerin selbst scheide schon deshalb aus, da sie in den Jahren 2007 und 2008 ca. 700 € im Monat verdient habe und damit über der in Polen maßgeblichen Einkommensgrenze liege.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 26. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 8. Dezember 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 2010 betreffend die (teilweise) Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld für den Zeitraum Januar bis Dezember 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin zu Unrecht aufgehoben.

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kindergeld für ihre leibliche Tochter D für den Zeitraum Januar bis Dezember 2008. Dieser Anspruch folgt aus §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG und ist zwischen den Beteiligten dem Grunde nach nicht streitig.

2. Der Anspruch ist auch nicht durch § 65 EStG ausgeschlossen oder eingeschränkt. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das im Ausland Leistungen zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch (ungeachtet der Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 65 EStG mit Europarecht, vgl. Vorlagebeschluss des BFH vom 21. Oktober 2010 III R 5/09) nicht vor.

a) Zurecht gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass weder die Klägerin noch der Kindesvater einen...

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