Leitsatz

Setzt das Finanzamt trotz Zweifel an der steuerlichen Behandlung eines Sachverhalts die Einkommensteuer endgültig und nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest, steht einer nachträglichen Bescheidänderung wegen neuer Tatsachen die Verletzung der Ermittlungspflicht des Finanzamtes auch dann entgegen, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht anfänglich verletzt hat.

 

Sachverhalt

Im Streitfall erklärte der Steuerpflichtige in seiner Einkommensteuererklärung neben laufendem Arbeitslohn auch Einnahmen aus Entschädigungen. Im Rahmen eines sich anschließenden Erörterungsverfahrens erhielt das Finanzamt davon Kenntnis, dass der ehemalige Arbeitgeber des Steuerpflichtigen im Streitjahr einen unverfallbaren Anspruch des Steuerpflichtigen in Höhe von umgerechnet ca. 70.000 EUR gemäß einer Betriebsvereinbarung in eine Direktversicherung eingezahlt hatte. Im weiteren Verlauf des Erörterungsverfahrens gelang es dem Finanzamt nicht, die Frage zu klären, wie die Direktversicherung steuerlich behandelt worden war. Der sodann ergangene Einkommensteuerbescheid erging endgültig und ließ die Einzahlung in die Direktversicherung unberücksichtigt.

Zwei Jahre später erhielt das Wohnsitzfinanzamt von dem für den Arbeitgeber zuständigen Finanzamt eine Kontrollmitteilung zwecks Nachversteuerung der Einbringung der Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung in die Direktversicherung, da dieser Vorgang beim Arbeitgeber lohnsteuerrechtlich nicht gewürdigt worden war. Gegen den vom Finanzamt auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheid legte der Steuerpflichtige erfolglos Einspruch ein und erhob nachfolgend Klage, mit der er geltend machte, das Finanzamt habe bereits im Veranlagungsverfahren von dem Vorgang Kenntnis gehabt und sei daher an einer Bescheidänderung wegen neuer Tatsachen gehindert gewesen.

 

Entscheidung

Bei der lohnsteuerlichen Nichtbehandlung der Einzahlung in die Direktversicherung handelt es sich um eine Tatsache zugunsten des Steuerpflichtigen, die auch nachträglich bekannt geworden ist. Dies erfolgte erstmals durch die Kontrollmitteilung des für den Arbeitgeber zuständigen Betriebsfinanzamts und damit nach abschließender Zeichnung des endgültigen Steuerbescheids. Gleichwohl war das Finanzamt zu einer Bescheidänderung nicht berechtigt, da das Finanzamt trotz Widersprüchlichkeiten im Sachverhalt und bestehender Unklarheiten über die lohnsteuerliche Behandlung der Einzahlung in die Direktversicherung keine weiteren Nachforschungen unternommen hatte und den Steuerbescheid im Hinblick auf die bestehenden Sachverhaltsunklarheiten weder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung noch vorläufig ergehen ließ.

Dies ist ein Verstoß gegen die ihm obliegende Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Eine Bescheidänderung wegen neuer Tatsachen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ist daher nicht möglich. Denn der Sachbearbeiter hätte bei pflichtgemäßer Sachverhaltsermittlung die steuerliche Behandlung der Einzahlung in die Direktversicherung beim ehemaligen Arbeitgeber des Steuerpflichtigen ermitteln müssen. Außerdem bestand eine aufklärungsbedürftige, aber nicht aufgeklärte Abweichung hinsichtlich der Betragshöhe.

Den Umstand, dass der Steuerpflichtige anfänglich seiner Mitwirkungspflicht nicht hinreichend nachgekommen war, hielt das Gericht für unschädlich, da er dem Finanzamt im Laufe des Erörterungsverfahrens sämtliche Unterlagen zur Direktversicherungseinzahlung zur Verfügung gestellt und sämtliche Auskünfte erteilt hatte. Im Streitfall stand zudem fest, dass auch der Steuerpflichtige vor Ergehen des streitbefangenen Änderungsbescheids keine Kenntnis von der lohnsteuerlichen Behandlung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber hatte. Im Übrigen wertete das FG die Pflichtverletzung des Finanzamts als wesentlich schwerwiegender als diejenige des Steuerpflichtigen, so dass eine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO trotz vorliegender neuer Tatsachen in jedem Fall ausgeschlossen war.

 

Hinweis

Die Entscheidung macht einmal mehr die Feinheiten des Verfahrensrechts deutlich. Trotz unstreitig vorliegender neuer Tatsachen, die das Finanzamt nach dem Wortlaut des § 173 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 AO an sich zur Bescheidänderung berechtigen, bleibt die Anwendung der Vorschrift nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen.

Generell kann festgehalten werden, dass das Finanzamt eine den Steuerpflichtigen belastende Bescheidänderung nicht auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO stützen darf, wenn es die Tatsachen bei gehöriger Erfüllung seiner Ermittlungspflicht bereits vor Erlass des vorhergehenden Bescheides hätte kennen und berücksichtigen müssen. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass dem Steuerpflichtigen seinerseits keine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht vorgeworfen werden kann. Ist dies der Fall, trifft i. d. R. den Steuerpflichtigen die Verantwortung mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann. Ausnahme: Die Pflichtverletzung der Finanzbehörde...

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