OFD Magdeburg, 19.1.2012, S 7140 - 10 - St 242

 

1. EuGH-Urteil vom 7.12.2010, Rechtssache C-285/09

Hat eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, kann dem Lieferer die Steuerbefreiung für diesen Umsatz versagt werden (EuGH-Urteil vom 7.12.2010).

Auslöser für die Entscheidung des EuGH war ein Vorabentscheidungsersuchen des BGH vom 7.7.2009, 1 StR 41/09, dem folgender Sachverhalt zu Grunde lag:

Der Geschäftsführer (GF, Angeklagte) einer in Deutschland ansässigen GmbH, die mit hochwertigen Fahrzeugen handelte, verkaufte zum größten Teil Fahrzeuge an gewerblich tätige Fahrzeughändler in Portugal.

Ab 2002 manipulierte der GF sein Rechnungswesen durch Ausstellung von Scheinrechnungen. Die Verkaufsrechnungen stellte er auf Scheinkäufer aus. Dabei enthielten die – in die Buchhaltung der GmbH aufgenommenen – Rechnungen jeweils die Firma des Scheinkäufers als Rechnungsadressanten, dessen USt-IdNr. …, die Bezeichnung des – tatsächlich an einen anderen Erwerber gelieferten – Fahrzeugs, den Kaufpreis sowie den Zusatz ‚Steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG’. Dadurch sollte der Eindruck erweckt werden, dass der Scheinkäufer den Umsatz in Portugal der Erwerbsbesteuerung unterwerfen würde. Bei den Scheinkäufern handelte es sich um tatsächlich existierende Unternehmen in Portugal. Teilweise waren die Scheinkäufer mit der Verwendung ihrer Firma für die Zwecke des Angeklagten einverstanden, teilweise hatten sie davon keine Kenntnis. Die tatsächlichen Käufer – also nicht die Scheinkäufer – verkauften die Fahrzeuge an private Endabnehmer und unterließen die Erwerbsbesteuerung.

Sowohl das Landgericht als auch der 1. Strafsenat des BGH beurteilten die fraglichen Lieferungen als umsatzsteuerpflichtig, der Angeklagte wurde wegen Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe verurteilt. Gegen diese Verurteilung wandte sich der Angeklagte mit einer erneuten Revision an den BGH, der ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH stellte (BGH-Beschluss vom 7.7.2009, 1 StR 41/09, EuGH-Urteil vom 7.12.2010).

Mit Beschluss vom 20.10.2011 erfolgte die Umsetzung des EuGH-Urteils durch den BGH. Die Revision des Angeklagten wurde als unbegründet verworfen.

 

2. BFH-Urteil vom 17.2.2011, V R 30/10

Der BFH setzt sich im o.a. Urteil erstmals mit der Entscheidung des EuGH auseinander.

Aus der Sachverhaltsdarstellung ergibt sich, dass die Klägerin, eine Aktiengesellschaft, Handys erworben hat und diese absprachegemäß unmittelbar an Firmen in Italien und Österreich weiterveräußerte, von wo aus sie in ein Umsatzsteuer-Karussell eingeschleust worden seien.

Der Geschäftsführer der Abnehmerfirmen wurde wegen Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe verurteilt, da er diese als Strohmannfirmen ausschließlich zum Zweck der Umsatzsteuerhinterziehung gegründet hatte.

Das beklagte FA schloss sich den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle an und erließ geänderte Steuerbescheide. Die Klage beim FG hatte keinen Erfolg. Das FG stützte die Klageabweisung darauf, dass der Klägerin aufgrund der ihrem Vorstandsmitglied bekannten Einbindung in ein Umsatzsteuer-Karussell der Vorsteuerabzug zu versagen sei. Aus diesem Grund seien auch ihre innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht steuerfrei.

Der BFH bestätigt den Tenor des o.g. EuGH-Urteils, das Urteil des FG wurde jedoch aufgehoben und die Sache mit nachfolgender Begründung an das FG zurückverwiesen.

Das FG hat die Klageabweisung darauf gestützt, dass bereits die Einbindung in ein Umsatzsteuer-Karussell zur Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferungen führe, da der Abnehmer nicht zutreffend bezeichnet worden sei und es sich um Vorgänge gehandelt habe, die zur Umsatzsteuerhinterziehung stattgefunden hätten. Ähnlich wie beim Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG setze die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung voraus, dass der tatsächliche Abnehmer und nicht ein zu Betrugszwecken vorgeschobener Leistungsempfänger (Scheingesellschaft) bezeichnet werde. Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass dies einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht standhält, daher war das Urteil aufzuheben (Rz. 20).

Der BFH musste nicht klären, ob die Versagung der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen aufgrund der Beteiligung an einem Umsatzsteuer-Karussell zulässig ist, denn allein der Hinweis auf ein Karussellgeschäft ersetzt keine tatsächlichen Feststellungen. So ist dem Urteil des FG nicht zu entnehmen, welche Abnehmer im Bestimmungsmitgliedstaat ihre steuerlichen Pflichten in Hinterziehungsabsicht nicht erfüllt haben und ob dies der Klägerin bekannt war (Rz. 25).

Dem Urteil des FG ist weiter nicht zu entnehmen, ob unzutreffende Abnehmerbezeichnungen vorliegen, wer in einem derartigen Fall als tatsächlicher Abnehmer der von der Klägerin ausgeführten Lieferungen anzusehen ist und ob die Klägerin die Person des Abnehmers ...

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