Anmerkungen zum Urteil des Gerichtshofs in der Rs. C-80/20

[Ohne Titel]

RA StB Georg von Streit[*]

Der EuGH musste darüber entscheiden, für welchen Erstattungszeitraum ein Vorsteuervergütungsanspruch geltend zu machen ist. Hierfür zu klärende Vorfragen waren, welche Dokumente mit welchen Angaben für eine wirksame Antragstellung vorliegen müssen und welche Auswirkungen die Stornierung und Neuausstellung dieser Dokumente hat. Die Erkenntnisse des Gerichtshofs, die im Folgenden dargestellt werden, gelten in teils vergleichbarer Form für den Vorsteuerabzug im Veranlagungsverfahren. Sie haben unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtspraxis in Deutschland.

[*] RA StB Georg von Streit ist in der Steuerabteilung eines DAX 30-Unternehmen in Bonn tätig.

I. Sachverhalt des Verfahrens beim EuGH

Zugrunde liegende Entscheidung: Im Urteil des EuGH vom 21.10.2021 in der Rs. C-80/20[1] ging es um Fragen des Vorsteuerabzugs. Zum Teil betrafen sie Besonderheiten des Vorsteuervergütungsverfahrens. Zentrale Frage (die auch für die deutsche Rechtspraxis von Belang ist) war aber wieder einmal, ob für den Vorsteuerabzug bzw. die Vorsteuererstattung eine Rechnung erforderlich ist und wie sie auszusehen hat.

Lieferung und Rechnungstellung 2012: Im Jahr 2012 lieferte die ZES Zollner Electronic SRL (im Folgenden: Zollner) in Rumänien Produktionsgeräte an die Wilo Salmson France SAS bzw. deren Rechtsvorgängerin (im Folgenden: Wilo). Hierüber stellte Zollner – ebenfalls in 2012 – Rechnungen aus, mit denen über die steuerpflichtigen (Inlands-)Lieferungen unter gesondertem Ausweis rumänischer Mehrwertsteuer abgerechnet wurde.[2]

Vergütungsverfahren 2012: Wilo, die in Rumänien nicht ansässig war, beantragte die Erstattung der in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer nach den nationalen Regelungen, mit denen die Richtlinie 2008/9 in Rumänien umgesetzt worden ist. Der Antrag wurde mit Entscheidung vom 14.1.2014 abgelehnt, weil die Rechnungen nach Ansicht der Behörden nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprachen.[3]

Rechnungstellung 2015: Daraufhin stornierte Zollner die in 2012 ausgestellten Rechnungen und stellte im Jahr 2015 neue Rechnungen über die Lieferungen der Produktionsgeräte aus.

Vergütungsverfahren 2015: Auf der Grundlage dieser neuen Rechnungen stellte Wilo für den Erstattungszeitraum (EZ) 2015 einen neuen Antrag auf Vergütung der an Zollner gezahlten Mehrwertsteuer. Dieser Antrag wurde ebenfalls von den Behörden abgelehnt.[4]

Vorlagefragen: Das vorlegende rumänische Gericht war sich nun nicht sicher, wie die materielle und formelle Rechtslage vor dem Hintergrund des Unionsrechts zu beurteilen ist und wandte sich mit einigen Fragen an den EuGH. Die Vorlagefragen sind zum Teil etwas schwierig nachzuvollziehen. Der Gerichtshof stellte seinen Ausführungen daher nicht nur generelle Vorbemerkungen voran, sondern teilweise auch den Antworten auf die jeweiligen Vorlagefragen Erläuterungen dazu, wie er die Fragen verstand. Gleichwohl enthalten die Urteilsgründe des EuGH interessante Aspekte insbesondere zum Entstehen und zur Ausübung des Vorsteuerabzugs.

[1] EuGH v. 21.10.2021 – C-80/20 – Wilo Salmson France SAS, UR 2021, 876. Zu den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott v. 22.4.2021 – C-80/20 – Wilo Salmson France SAS, vgl. Heinrichshofen, UStB 2021, 212.
[2] Lt. den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott v. 22.4.2021 – C-80/20 – Wilo Salmson France SAS, Rz. 25, ist unklar, ob und wann diese Rechnungen von Wilo bezahlt wurden. Lt. dem Urteil des EuGH, Rz. 35, beantragte Wilo "die Erstattung der in Rumänien vom 1. Januar bis 31.12.2012 gezahlten Mehrwertsteuer."
[3] Vgl. EuGH v. 21.10.2021 – C-80/20 – Wilo Salmson France SAS, UR 2021, 876 Rz. 35.
[4] Mit der Begründung, dass Wilo die Vergütung der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Mehrwertsteuer bereits verlangt habe; vgl. EuGH v. 21.10.2021 – C-80/20 – Wilo Salmson France SAS, UR 2021, 876 Rz. 36.

II. Vorlagefrage 1: Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs

1. Ausführungen des EuGH zum Entstehen und zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug

Unterschied zwischen Entstehen und Ausübung: Mit der ersten Frage – die vermutlich aus deutscher Sicht am interessantesten war – wollte das rumänische Gericht wissen, ob ein Unterschied zwischen dem Zeitpunkt der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug und dem der Ausübung dieses Rechts bestehe und ob das Recht auf Vorsteuerabzug bei Fehlen einer (gültigen) steuerlichen Rechnung des Lieferanten ausgeübt werden könne.[5]

Vorhergehende Entscheidungen: In Beantwortung dieser Frage wiederholte der EuGH die in früheren Urteilen bereits dargestellten Grundsätze des Vorsteuerabzugs.[6] Für den Vorsteuerabzug gebe es materielle und formelle Voraussetzungen.[7]

Materielle Voraussetzungen (Entstehen des Vorsteuerabzugsrechts): Aus materieller Sicht müsse der Betroffene ein Steuerpflichtiger sein, der die bezogenen Leistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwende und die Leistungen müssten von einem anderen Steuerpflichtigen erbracht werden. Das gelte sowohl für den Vorsteuerabzug im Veranlagungsverfahren als auch – mit weiteren Spezifizierungen – für die Erstattung im Vorsteuervergütungsverfahren.[8] Mit der Erfüllung dieser Voraussetzungen ist das Recht au...

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