1. Gegenseitigkeit der Ansprüche

a) Familienkasse auf der einen Seite

 

Rn. 11

Stand: EL 172 – ET: 04/2024

Gegenseitigkeit setzt die Identität von Schuldner und Gläubiger voraus. Das bedeutet, dass der Anspruch und der Gegenanspruch zwischen denselben Personen bestehen müssen – der Schuldner des einen muss also zugleich Gläubiger des anderen Anspruchs sein, Loose in Tipke/Kruse, § 226 AO Rz 14 (Februar 2019). Unter dieser Prämisse definiert § 75 EStG die Aufrechnungsbefugnis der Familienkassen (Arbeitsagenturen, § 70 Abs 1 S 1 EStG) oder der juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 72 Abs 1 S 2 EStG).

 

Rn. 12

Stand: EL 172 – ET: 04/2024

Ein Wechsel der Zuständigkeit von der einen auf eine andere Familienkasse tangiert die Aufrechnungsbefugnis nicht. Aufgrund von § 226 Abs 4 AO bestehen gegen die Identität von Schuldner und Gläubiger bei einem Zuständigkeitswechsel der Familienkassen keine Bedenken, Janda in K/S/M, § 75 EStG Rz B 8 (Juni 2022).

b) Kindergeldberechtigter auf der anderen Seite

 

Rn. 13

Stand: EL 172 – ET: 04/2024

Auch in Bezug auf die Erstattungsverpflichtung (Schuldner) und den Kindergeldanspruch (Gläubiger) ist für die Aufrechnung nach § 75 Abs 1 EStG Personenidentität erforderlich. Das ist nur und solange der Fall, als der zur Rückzahlung Verpflichtete zugleich der Kindergeldberechtigte ist. Mit dem Eintritt eines Berechtigtenwechsels nach § 64 EStG wird daher auch die Aufrechnungslage beendet, aber s Rn 7.

 

Rn. 14–20

Stand: EL 172 – ET: 04/2024

vorläufig frei

2. Gleichartigkeit der Ansprüche

 

Rn. 21

Stand: EL 172 – ET: 04/2024

Das Merkmal der Gleichartigkeit ist stets erfüllt, denn dafür genügt es, dass sich Geldansprüche gegenüberstehen, Loose in Tipke/Kruse, § 226 AO Rz 30, 31 (Februar 2019).

 

Rn. 22

Stand: EL 172 – ET: 04/2024

§ 75 Abs 1 EStG betrifft nur die Aufrechnung von Ansprüchen auf Erstattung von Kindergeld gegen Ansprüche auf Kindergeld (§ 75 Abs 1 EStG) bzw einen späteren Kindergeldanspruch des mit dem Erstattungspflichtigen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Berechtigten (§ 75 Abs 2 EStG). Ein Anspruch der Familienkasse auf Erstattung (§ 37 Abs 2 AO) von Kindergeld besteht, wenn die Auszahlung von Kindergeld ohne Rechtsgrund erfolgt ist, zB weil der Auszahlung keine Kindergeldfestsetzung zugrunde gelegen hat, oder die der Auszahlung zugrundeliegende Kindergeldfestsetzung aufgehoben oder geändert worden ist (Selder in Brandis/Heuermann, § 75 EStG Rz 10 (Oktober 2021); dabei ist die formelle Bescheidlage bei der Aufrechnung maßgebend, BFH 15.06.1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46.

§ 75 EStG findet auch auf den sog Kinderbonus (2020, 2021, 2022) Anwendung, (BZSt vom 06.08.2020, BStBl I 2020, 657; BZSt vom 17.03.2021, BStBl I 2021, 359; BZSt vom 27.05.2022, BStBl I 2022, 894). Die Familienkasse kann sowohl mit Ansprüchen auf Erstattung von Kindergeld gegen Ansprüche des Kindergeldberechtigten auf den Kinderbonus aufrechnen, als auch mit Ansprüchen auf Erstattung des Kinderbonus gegen Ansprüche des Kindergeldberechtigten auf Kindergeld.

Für die Aufrechnung eines Erstattungsanspruchs wegen überzahlten Kindergelds gegen andere von der Familienkasse verwaltete Ansprüche – zB Besoldungs-, Vergütungs-, Versorgungs- und Lohnansprüche (V 28.1 Abs 1 S 4 DA-KG 2023) – gelten nach § 226 Abs 1 AO unter Beachtung der allg Pfändungsfreigrenzen die § § 387ff BGB entsprechend.

Eine Aufrechnung ist erst mit einem fällig gewordenen Erstattungsanspruch zulässig, dh nach Ablauf der Zahlungsfrist (vgl V 23.1 Abs 2 S 5, V 28.1 Abs 4 S 3 DA-KG 2023); noch nicht entstandene, künftige Ansprüche sind nicht erfüllbar, BFH vom 07.04.2011, III R 88/09, BFH/NV 2011, 1326.

Erfolgt die Aufrechnung vor Fälligkeit der Kindergeldforderung, ist die Aufrechnung unwirksam; die Unwirksamkeit wird auch nicht dadurch geheilt, dass Kindergeldansprüche von Monat zu Monat fällig werden, Selder in Brandis/Heuermann, § 75 EStG Rz 10 (Oktober 2021).

 

Rn. 23

Stand: EL 172 – ET: 04/2024

Aus § 75 Abs 1 EStG lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Erstattungsanspruch und der Kindergeldanspruch sich jeweils auf dasselbe Kind beziehen müssten, Janda in K/S/M, § 75 EStG Rz B 10 (Juni 2022); Wendl in H/H/R, § 75 EStG Rz 4 (Juni 2020); aA Debus in Frotscher/Geurts, § 75 EStG Rz 4 (Oktober 2017). Aus der Eigenständigkeit des jeweiligen Kindergeldanspruchs folgt nichts anderes, vgl dazu BFH vom 04.03.2011, III B 166/10, BFH/NV 2011, 1007.

Der Gesetzeswortlaut spricht lediglich

  • von Ansprüchen auf Kindergeld (§ 75 Abs 1 EStG),
  • vom späteren Kindergeldanspruch des mit dem Erstattungspflichtigen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Berechtigten (§ 75 Abs 2 EStG).
 

Rn. 24

Stand: EL 172 – ET: 04/2024

Durch die Änderung des § 75 Abs 1 EStG durch das ZollkodexAnpG ist klargestellt, dass auch eine Aufrechnung mit einem Anspruch auf Erstattung von Kindergeld gegen einen Anspruch auf Nachzahlung von Kindergeld möglich ist. Dabei ist die Aufrechnung nur bis zur Hälfte der Ansprüche auf Kindergeld, sei es der laufende Kindergeldanspruch oder der Anspruch auf Nachzahlung von Kindergeld, beschränkt.

Bereits vor der mWv 01.01.2015 erfolgten Gesetzesänderung war die Aufrechnung – bis zur Hälfte des Anspruchs –...

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