1. Finanzverfassung

 

Rn. 35

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

Die vorgesehene Ermäßigung der ESt bei Einkünften aus Gewerbebetrieb um einen am GewSt-Messbetrag orientierten Pauschalbetrag ist nach Auffassung des Gesetzgebers mit der Verfassung vereinbar.

 

Rn. 36

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

Die Regelung überschreitet nicht die Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers, die sich mit Blick auf die Wahrung der Funktionsfähigkeit des finanzverfassungsrechtlichen Steuerertragsverteilungssystems ergeben. Der finanzverfassungsrechtliche Grundsatz der Formenbindung und -klarheit ist gewahrt. Die GewSt bleibt hinsichtlich Festlegung und Erhebung eine eigenständige Steuer in der Ertragshoheit der Gemeinden und behält insgesamt ihren Objektsteuercharakter. Die Steuerermäßigung ist formell und materiell allein dem ESt-Recht zuzuordnen. Der GewSt-Messbetrag wird – im Gegensatz zu einer Verrechnung der individuellen GewSt-Schuld – lediglich als Maßstab für eine pauschalierte einkommensteuerliche Entlastung des StPfl herangezogen.

 

Rn. 37

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

Die sich ergebenden Aufkommensveränderungen bei der ESt begründen wie schon bei anderen Verknüpfungen von Steuern in unterschiedlicher Ertragshoheit keinen Verfassungsverstoß, da die Regelungen zur Steuerertragshoheit weder den Bestand noch ein bestimmtes Aufkommensniveau einzelner Steuern garantieren.

 

Rn. 38

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

Die im § 35 EStG verankerte Steuerermäßigung iS einer pauschalen Anrechnung ist mit Art 28 GG vereinbar, wonach den Gemeinden eine eigenständige wirtschaftskraftbezogene Steuer garantiert wird.

 

Rn. 39

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

Sähe demgegenüber § 35 EStG eine punktgenaue Entlastung durch Anrechnung der tatsächlich gezahlten GewSt vor, wäre die GewSt im Ergebnis nichts anderes als eine Vorauszahlung auf die ESt-Schuld. Dies würde zu einem Eingriff in das finanzverfassungsrechtliche Finanzausgleichssystem (Art 106 GG) führen und bedürfte für ihre Wirksamkeit einer Verfassungsänderung.

 

Rn. 40

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

Ein Eingriff in das finanzverfassungsrechtliche Finanzausgleichssystem wird wegen der vom Gesetzgeber bewusst durch § 35 EStG herbeigeführten Entkoppelung von ESt und GewSt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer außerhalb von Art 106 GG verankerten "Nebensteuerverteilung" der ESt zu Lasten des Bundes, der Länder und der Gemeinden bewirkt (vgl Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, BMF-Schriftenreihe, Bonn 1999, Heft 66, 93; aA Hidien, BB 2000, 485).

2. Grundrechte

 

Rn. 41

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

Die Regelung ist auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Das BVerfG fordert vom Gesetzgeber, die Gesamtbelastung durch eine Besteuerung des Vermögenserwerbs, des Vermögensbestandes und der Vermögensverwendung so aufeinander abzustimmen, dass das Belastungsgleichmaß gewahrt und eine übermäßige Last vermieden wird (BVerfGE 93, 121/35). Speziell auch in Bezug auf die ESt/KSt und die GewSt hat das BVerfG eine solche Gesamtbelastungsbetrachtung vorgenommen und dabei die GewSt als zusätzliche Ertragsteuer bezeichnet (BVerfGE 40, 109/18).

 

Rn. 42

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

§ 35 EStG ersetzt die mit Wirkung ab dem VZ 1994 eingeführte Regelung des § 32c EStG aF, aufgrund deren eine Tarifkappung vorgesehen ist. Die Tarifbegrenzung des § 32c EStG aF war insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) einer starken Kritik ausgesetzt (BFH v 24.02.1999, BStBl II 1999, 450; Rohrlack in Brandis/Heuermann, § 35 EStG Rz 28, Juli 2020). Im Wesentlichen wurde ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG darin gesehen, dass

  • die Begünstigung gewerblicher Gewinne das Gebot einer grundsätzlich gleichen folgerichtigen Belastung der verschiedenen Einkunftsarten verletze, wobei die Sonderbelastung der gewerblichen Einkünfte mit GewSt hierfür nicht rechtfertigend wirke,
  • Anteilseigner von Körperschaften benachteiligt würden, weil bei der Besteuerung der Dividenden die gewerbesteuerliche Vorbelastung bei der ausschüttenden Körperschaft unberücksichtigt bleibe,
  • die Tarifentlastung nur inkongruent, nämlich nur in den Fällen erfolge, in denen der Anteil der gewerblichen Einkünfte am zvE einen bestimmten Betrag überschreite.
 

Rn. 43

Stand: EL 157 – ET: 04/2022

Die vorstehenden Gesichtspunkte treffen für die Steuerermäßigung gemäß § 35 EStG nicht zu. Im Hinblick auf die von § 35 EStG ausgehenden gesetzgeberischen Wertungen ist auf der Grundlage einer integrierten Betrachtung auf die Gesamtbelastung von ESt und GewSt abzustellen. Eine gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßende Benachteiligung von Beziehern anderer Einkunftsarten ist unter diesem Gesichtspunkt der Gesamtbetrachtung nicht gegeben (so auch FG BdW v 28.04.2014, 13 K 1894/13, nachgehend BFH v 14.11.2018, II R 64/15, BStBl II 2019, 289). Das gilt auch für die Bezieher von Dividenden. Unter Berücksichtigung der Vorbelastung sind Anteilseigner an Körperschaften nach Maßgabe des Teileinkünfteverfahrens bei Vollausschüttung im Ergebnis etwa gleich hoch belastet.

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