Rn. 35e

Stand: EL 164 – ET: 04/2023

Die rechtlichen Vorgaben für die steuerliche Berücksichtigung von Auslandsverlusten sind zu großen Teilen nicht eindeutig.

Indem der EuGH die Grundsätze seiner Entscheidung "Marks & Spencer" (EuGH vom 13.12.2005, C-446/03, DStR 2005, 2168) auf den "Lidl Belgium" Fall anwendet, begründet er eine gewisse Rechtsunsicherheit. Diese Grundsätze sind für die Verlustverrechnung zwischen Tochter-KapGes entwickelt worden, die aufgrund der Abschirmwirkung einer KapGes engeren Regeln folgen kann als sie für das Verhältnis zwischen Betriebsstätte und Stammhaus gelten müssen. Die dort genannten drei Rechtfertigungsgründe für eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit durch eine nur begrenzt zugelassene Verlustverrechnung sollen nicht kumulativ erfüllt sein müssen. Als Rechtfertigungsgründe kommen

(1) der abkommensrechtliche Verteilungsmechanismus der Besteuerungsrechte (Territorialitätsprinzip),
(2) die Vermeidung einer Verlustdoppelverwertung sowie
(3) die Vermeidung einer Steuerumgehung in Betracht.

Der EuGH lässt eine drohende doppelte Verlustberücksichtigung als überwiegenden Rechtfertigungsgrund für eine Einschränkung der Verlustverrechnung ausreichen. Hier bleiben Fragen offen hinsichtlich der im Rechtsstreit erforderlichen angemessenen voraussehbaren Gewichtung der Rechtfertigungsgründe. DBA, die das Besteuerungsrecht der Vertragsstaaten regeln und im Interesse des StPfl zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung beschränken sollen, können bei Anwendung der Freistellungsmethode zu einer Schlechterstellung des StPfl führen (Kessler/Eicke, IStR 2008, 581).

Eine Definition der finalen Auslandsverluste liegt auch nach den Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache "Timac Agro" und in der Rechtssache "W" nicht vor. Das FG Köln stellt in seinem Vorlagebeschluss zu der Rechtssache "Timac Agro" vom 19.02.2014, 13 K 3906/09, EFG 2014, 1901, fest, dass die abstrakten Kriterien für die Bestimmung finaler Verluste nicht zu erkennen seien und der EuGH in den Verfahren "K" (EuGH vom 07.11.2013, C-322/11) und "A Oy" (EuGH vom 21.02.2013, C-123/11) zum Teil gegenläufige Ansichten vertrete). Sie erfordert Regeln

  • zur Bestimmung des Zeitpunktes ihrer Finalität im rechtlichen und tatsächlichen Sinn,
  • zur Berechnung der Verluste nach dem Recht des Stammhauses oder der Betriebsstätte sowie
  • zum Zeitpunkt der Verlustberücksichtigung.

Einzelheiten der vom BFH in der EuGH-Vorlage des BFH vom 06.11.2019, I R 32/18, DStR 2020, 2354 aufgewiesenen Fallgestaltungen sind derzeit umstritten:

  • Besteht im Fall einer Freistellungsbetriebsstätte eine EU-rechtliche Verpflichtung zur grenzüberschreitenden Berücksichtigung finaler Verluste aufgrund grundsätzlicher Vergleichbarkeit ausländischer und inländischer Betriebsstätten (verneinend zuletzt EuGH vom 22.09.2022, C-538/20 "W"; s auch FG Münster vom 28.03.2017, 12 K 3541/14 G, F, Rev BFH I R 48/17, DStRE 2018, 789 und FG Münster vom 28.03.2017, 12 K 3545/14 G, F, Rev BFH I R 49/17)?
  • Setzt die Verrechnung finaler Verluste eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Verlustübernahme voraus (s zur "Organschaft über die Grenze" FG SchlH vom 13.03.2019, 1 K 218/15, DStR 2019, 2304, Rev BFH I R 26/19)?
  • Nachträglicher Verlustausgleich: Liegen finale Verluste im Falle der Schließung einer ausländischen Betriebstätte vor, wenn die theoretische Möglichkeit besteht, dass das Stammhaus erneut eine Betriebsstätte im betreffenden Mitgliedstaat eröffnet, mit deren Gewinnen die früheren Verluste eventuell verrechnet werden können? Diese theoretische Möglichkeit genügt nach Auffassung des FG Nds nicht, um eine Finalität auszuschließen. Sollte sich eine derartige Verlustnutzung in Zukunft ergeben, könne dem durch eine rückwirkende Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO Rechnung getragen werden; FG Nds vom 28.11.2019, 6 K 69/17, DStRE 2020, 1025. Ebenso wohl (jedoch nicht eindeutig) Generalanwalt Collins in dem Schlussantrag vom 10.03.2022 in der Rechtssache "W" des EuGH, C-538/20, IStR 2022, 240.
  • Ist bei der Berechnung der finalen Verluste der gesamte Verlustvortrag zu berücksichtigen, also auch die Verluste aus den vergangenen Jahren, die nach dem Recht des Quellenstaates mindestens einmal in einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum vorgetragen wurden oder hätten vorgetragen werden können (s BFH vom 09.06.2010, I R 107/09, IStR 2010, 663)? Oder ist nur der Verlust als finaler Verlust einzuordnen, der im letzten Veranlagungszeitraum – gewissermaßen vor der Liquidation der Betriebsstätte – angefallen ist (s EuGH vom 03.02.2015, C172/13, DStR 2015, 337; ebenso Generalanwalt Collins in dem Schlussantrag vom 10.03.2022 in der Rechtssache "W" des EuGH, C-538/20, IStR 2022, 240)?
  • Ist die Berücksichtigung der finalen Verluste im Ansässigkeitsstaat der Höhe nach begrenzt durch diejenigen Verlustbeträge, die die Gesellschaft im Quellenstaat hätte ansetzen können, wenn die Verlustberücksichtigung dort nicht ausgeschlossen wäre? Dies bejaht Generalanwalt Collins in dem Schlussantrag vom...

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