Leserinformation zur 82. Ergänzungslieferung

Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser,

diese Lieferung enthält die komplette Neubearbeitung des § 393 AO, der Schlüsselnorm des Steuerstrafverfahrensrechts, die das Nebeneinander von Strafverfahren und Besteuerungsverfahren regelt. Dabei wurden aktuelle Gesetzesänderungen und höchstrichterliche Rechtsprechung sowie neuere Literatur berücksichtigt.

Von grundlegender Bedeutung ist in dem Zusammenhang das Selbstbelastungsverbot. Dieser verfassungsrechtlich garantierte sog. Nemo-tenetur-Grundsatz entfaltet insbesondere im Steuerrecht seine Wirkung, wenn es um die Pflicht zur Abgabe wahrheitsgemäßer Steuererklärungen geht, durch die der Steuerpflichtige sich aber selbst strafrechtlich belasten müsste. Insofern gibt es eine inzwischen gefestigte Rspr. des BVerfG und des BGH zur Suspendierung der Steuererklärungspflicht (vgl. die Zusammenfassung in BGH v. 22.3.2023 – 1 StR 440/22 m.w.N.; BGH v. 1.6.2021 – 1 StR 127/21). Zum Verhältnis von Steuerhehlerei und Tabaksteuerhinterziehung s. BGH v. 23.5.2019 – 1 StR 127/19. Die Einzelheiten sind bei § 393 Rz. 106 ff. dargestellt.

Das auch in 393 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO verankerte steuerliche Zwangsmittelverbot bezieht sich zwar auf die in § 328 AO genannten Zwangsmittel. Dennoch entfalten viele andere steuerliche Maßnahmen, wie die nachteilige Schätzung (vgl. nur BGH v. 20.12.2016 – 1 StR 505/16, BGH v. 11.3.2021 – 1 StR 521/20), das Verzögerungsgeld (offengelassen von BFH v. 12.2.2019 – X B 90/18, juris Rz. 18–20), der Verspätungszuschlag (§ 156 AO) oder der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO nach hier vertretener Ansicht ähnlich repressiven Charakter mit der Folge, dass u.U. ein Verwertungsverbot der gemachten Angaben in Frage kommt. Große Bedeutung haben deshalb die Belehrungspflichten in der Außenprüfung (vgl. auch § 10 BpO, § 393 Rz. 131 ff.). Auch die Verletzung der Aussagefreiheit außerhalb einer förmlichen Vernehmung i.S.v. §§ 136, 136a StPO kann zu einem Verwertungsverbot führen (BGH v. 6.3.2018 – 1 StR 277/17 Rz. 23). Eine Belehrung des Beschuldigten ist gem. § 136 StPO i.d.F. durch Gesetz v. 30.6.2021 m.W.v. 1.7.2021 vor jeder und nicht mehr nur vor der ersten Vernehmung erforderlich. Die Prüfer sind bei verspäteter Belehrung und Einleitung eines Strafverfahrens selbst einem Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt. Insoweit gibt es inzwischen bedenkenswerte Ansätze zur Entkriminalisierung der Außenprüfung (s. § 393 Rz. 151 ff.).

§ 393 Abs. 2 AO enthält ein gesetzlich normiertes Verwendungsverbot für Erkenntnisse über Nichtsteuerstraftaten, die der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis dessen offenbart hat, ausgenommen gravierende Straftaten i.S.v. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO (zu dessen Auslegung vgl. AEAO zu § 30 Nr. 1).

§ 393 Abs. 3 AO gestattet die steuerliche Verwendung von TKÜ-Erkenntnissen. Diese mit dem JStG 2008 eingefügte Regelung enthält bis heute eine Vielzahl von Ungereimtheiten, die immer noch der Klarstellung durch den Gesetzgeber harren. Inzwischen ist die Anordnung einer TKÜ auch in Fällen der bandenmäßigen Steuerhinterziehung sämtlicher Steuerarten in großem Ausmaß gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO zulässig (vgl. § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO, eingeführt mit Blick auf die Cum-ex-Geschäfte durch Gesetz v. 25.6.2021 m.W.v. 1.7.2021). Unklar bleibt, aufgrund welcher Rechtvorschriften die Datenübermittlung aus Strafverfahren an das Finanzamt zulässig ist. Hierbei ist das vom BVerfG entwickelte sog. Doppeltürmodell zu beachten. Ob die in Betracht kommenden Auskunfts- und Verwendungsregelungen der §§ 406e, 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO, § 111 Abs. 1, § 105 Abs. 1 und § 393 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 AO als Befugnisnormen genügen, ist mehr als zweifelhaft. Bei § 393 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 AO ist zu bemängeln, dass die Rechtsgrundlagen nach der StPO, die die Weitergabebefugnis an die FinB regeln, weder im Gesetz noch der Gesetzesbegründung genannt wurden. Welche Vorschriften der StPO hierfür in Frage kommen, ist umstritten. Einer Übermittlung und Verwendung derartiger Daten durch die FinB steht auch § 479 StPO i.d.F. des Gesetzes v. 25.6.2021 (vormals § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO) entgegen, der nur begrenzt Auskünfte und Verwendungen von nach §§ 474477 StPO erlangten Daten zulässt. Nach obergerichtlicher Rspr. besteht ein sehr weitgehender Anspruch der FinB auf Akteneinsicht und Auskunftserteilung gegenüber der Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Besteuerung (vgl. zuletzt BayObLG v. 20.12.2021 – 203 VAs 389/21).

Weitere Durchbrechungen des Steuergeheimnisses sieht u.a. § 31a AO i.d.F. durch das JStG 2022 v. 16.12.2022 vor (Mitteilungspflicht der die FinB nun auch bei Subventionsbetrug, im Zusammenhang mit Corona-Beihilfen, vgl. dazu bereits vorher LG Aachen v. 16.11.2020 – 86 Qs-302 Js 736/20).

Auf aktuellen Stand gebracht wurde ferner § 396 AO. Der Textteil enthält die neuen AStBV (St) 2023/2024.

Brigitte Hilgers-Klautzsch, Jörg Schauf

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