Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die Regelung in Art. 76 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 entsprechend auf Art. 10 Buchst. a VO Nr. 574/72 anzuwenden in Fällen, in denen der anspruchsberechtigte Elternteil die ihm im Beschäftigungsland zustehenden Familienleistungen nicht beantragt?

2. Für den Fall, dass Art. 76 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 entsprechend anwendbar ist: Aufgrund welcher Ermessenserwägungen kann der für Familienleistungen zuständige Träger des Wohnlands Art. 10 Buchst. a VO Nr. 574/72 anwenden, als ob Leistungen im Beschäftigungsland gewährt würden? Kann das Ermessen, den Erhalt von Familienleistungen im Beschäftigungsland zu unterstellen, eingeschränkt sein, wenn der Anspruchsberechtigte im Beschäftigungsland die ihm zustehenden Familienleistungen bewusst nicht beantragt, um der Kindergeldberechtigten im Wohnland zu schaden?

 

Normenkette

§ 62, § 63 EStG, Art. 76 Abs. 2 VO Nr. 1408/71, Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, Buchst. b i VO Nr. 574/72

 

Sachverhalt

Die Klägerin wohnt mit zwei ihrer 1992 und 1995 geborenen Kinder in Deutschland. Sie begann 2005 eine selbstständige Tätigkeit und war ab Mai 2006 geringfügig beschäftigt. Im streitigen Zeitraum entrichtete sie freiwillig Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Der Vater der Kinder, von dem sie seit 1997 geschieden ist, arbeitet in der Schweiz. Die ihm nach Schweizer Recht zustehenden Familienleistungen von 109,75 Euro je Kind beantragte er nicht. Die Familienkasse setzte ab Januar 2006 Kindergeld nur i.H.v. 44,25 Euro je Kind fest, der Differenz zwischen deutschem Kindergeld (154 Euro) und der dem Vater in der Schweiz zustehenden Familienleistung.

Das FG wies die Klage ab (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 02.02.2007, 11 K 227/06, Haufe-Index 1917628, EFG 2008, 694).

 

Entscheidung

Der BFH hat das Verfahren ausgesetzt, damit der EuGH im Weg der Vorabentscheidung Fragen zur Anwendung und Auslegung der einschlägigen Verordnungen beantwortet.

 

Hinweis

1. Allein mit nationalem Recht lassen sich viele grenzüberschreitende Sachverhalte nicht mehr lösen. Dies gilt auch im Kindergeldrecht. So setzt die Gewährung von Kindergeld – anders als die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG – regelmäßig voraus, dass das Kind im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 62 Abs 1 EStG). Nach Abkommen über soziale Sicherheit, die Deutschland u.a. mit der Türkei geschlossen hat, wird Kindergeld an Arbeitnehmer aber auch dann gezahlt, wenn das Kind in seinem Herkunftsland lebt (BFH, Beschluss vom 19.09.2008, III B 113/07, BFH/NV 2009, 146).

2. Im Streitfall war der internationale Einschlag nicht auf den ersten Blick zu erkennen, weil die Klägerin mit ihren Kindern im Inland lebte. Der Vater der Kinder wohnte aber in der Schweiz, sodass zu prüfen war, ob ihm dort Leistungen gewährt wurden, die mit dem Kindergeld vergleichbar sind und dieses mindern (§ 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 EStG). Zu einer Minderung des deutschen Kindergeldanspruchs wegen vergleichbarer ausländischer Leistungen kann es auch im Fall eines Zuschlags für behinderte Kinder kommen (BFH, Urteil vom 17.04.2008, III R 36/05, BFH/NV 2008, 1579, BFH-PR 2008, 432).

3.Konkurrenzverhältnisse innerhalb der EU regelt Art. 10 Buchst. a VO Nr. 574/72 dahin, dass der Anspruch gegen das Beschäftigungsland dem Anspruch gegen das Wohnland vorgeht. Wenn aber der anspruchsberechtigte Elternteil im Wohnland eine Beschäftigung ausübt, ruht der Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsland bis zur Höhe der im Wohnland geschuldeten Leistungen (Art. 10 Abs. 1 Buchst. b i VO Nr. 574/72).

4. Diese gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen gelten aufgrund des Abkommens mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Freizügigkeit vom 21.06.1999 auch im Verhältnis zur Schweiz.

5. Da die Klägerin im Hinblick auf die Gewährung von Familienleistungen nicht als Arbeitnehmerin oder Selbstständige anzusehen war, wäre der Anspruch gegen die Schweiz vorrangig. Der dort lebende Vater hatte aber (zur Schikane?) keinen Antrag gestellt und daher auch keinen Anspruch. Konnte die beklagte Familienkasse bei der Ermittlung des Kindergeldanspruchs die tatsächlich im Beschäftigungsland Schweiz nicht gewährten Leistungen abziehen? Daraus ergaben sich für den III. Senat Fragen zur Auslegung der einschlägigen Verordnungen und zu dem dabei ggf. auszuübenden Ermessen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 30.10.2008, III R 92/07BFH, Beschluss vom 30.10.2008 – III R 92/07

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