Nur wenige Wochen später meldete sich ein Richter der 3. Kammer mit der genau gegenteiligen Auffassung – und den besseren Argumenten zu Wort (VG Bremen v. 30.6.2022 – 3 E 807/22, JurBüro 2022, 415).

Die Formulierung von Ziff. 3104 RVG-VV setze nämlich nur voraus, dass "eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann", folglich der Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft sein muss. Auf die Zulässigkeit des Antrags im Übrigen stellt die Formulierung hingegen nicht ausdrücklich ab. Auch Vorgaben dazu, welcher Beteiligte den Antrag auf mündliche Verhandlung stellen kann, sind dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen (VG Bremen v. 30.6.2022 – 3 E 807/22, JurBüro 2022, 415). Die fiktive Terminsgebühr diene ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/11471, 275) dazu, mündliche Verhandlungen, die andernfalls womöglich ausschließlich im Gebühreninteresse erfolgen würden, zu vermeiden und so die Gerichte zu entlasten ("Steuerungswirkung"). Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr solle daher auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt oder die Anwältin durch sein bzw. ihr Verhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann.

Eine mündliche Verhandlung könne aber auch durch die Partei erzwungen werden, die im Gerichtsbescheid vollständig obsiegt hat. Auch ein mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung könne nicht analog §§ 125 Abs. 2, 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss verworfen werden, sondern mache eine mündliche Verhandlung erforderlich (dazu VG Stuttgart v. 28.10.2021 – A – 5 K 2984/21, juris). Insoweit sei auch bei einem unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung die "Steuerungswirkung" der fiktiven Terminsgebühr erforderlich, um zu verhindern, dass eine mündliche Verhandlung nur beantragt wird, um höhere Anwaltsgebühren zu erhalten. Dem steht auch § 155 Abs. 4 VwGO nicht entgegen. Danach können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Beantrage der vollständig Obsiegende demnach unzulässigerweise die Durchführung der mündlichen Verhandlung, hätte er die so zusätzlich entstandenen Kosten zu tragen.

Diese Regelung betreffe jedoch nur die Frage, wer die Kosten zu tragen hat, nicht die hier streitgegenständliche Frage, in welcher Höhe Kosten anfallen. Die fiktive Terminsgebühr entstünde also für den Prozessvertreter des Obsiegenden unabhängig von § 155 Abs. 4 VwGO, wäre dann nur nicht mehr vom Unterlegenen, sondern von seinem Mandanten zu erstatten (VG Stuttgart v. 28.10.2021 – A – 5 K 2984/21, juris).

Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Frage, ob eine Beschwer vorliegt, nicht in jedem Fall ohne weiteres zu beurteilen ist. Letztlich ist dies von den Erwartungen des obsiegenden Prozessbeteiligten abhängig. So könne ein Beklagter, zu dessen Gunsten eine Klage als unzulässig abgewiesen wurde, diese als zulässig ansehen und ein klageabweisendes Sachurteil anstreben. Es sei auch möglich, dass ein scheinbar vollumfassend obsiegender Kläger die Auffassung vertritt, der Gerichtsbescheid erschöpfe sein Klagebegehren nicht vollständig. In beiden Fällen wäre ein Antrag auf mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres wegen fehlender Beschwer abzusehen. Die Beurteilung solcher Fragen in das Kostenfestsetzungsverfahren zu verlagern, sei jedoch nicht mit dem gesetzgeberischen Ziel, das Kostenrecht zu vereinfachen, vereinbar (vgl. dazu VGH Bayern v. 27.2.2020 – 8 C 18.1889, BayVBl. 2020, 638).

Mit Hilfe dieses schlüssigen Argumentationsbündels gelangt das VG Bremen (VG Bremen v. 30.6.2022 – 3 E 807/22, JurBüro 2022, 415) zu dem einzig schlüssigen Ergebnis, dass die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 RVG-VV unabhängig von der Frage entsteht, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig ist oder nicht. Damit werde auch der mit dem Gebührenrecht nicht vereinbare Grundsatz vermieden, die Entstehung einer anwaltlichen Gebühr vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig zu machen, zumal dies bei gegenteiliger Ansicht dazu führen würde, dass der erfolglose Prozessbevollmächtigte gebührenrechtlich bessergestellt wäre als der obsiegende Rechtsanwalt (dazu VG Minden v. 17.8.2018 – 12 K 6379/16.A, juris; VGH Bayern, Beschl. v. 27.2.2020 – 8 C 18.1889, BayVBl. 2020, 638). Das Ergebnis einer solchen den Misserfolg honorierenden "fiktiven" Terminsgebühr erscheine mangels einer dies ausdrücklich gebietenden gesetzlichen Regelung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedenklich (s. VG Hamburg v. 9.11.2017 – 1 KO 8346/17, juris). Dem wird man uneingeschränkt zustimmen müssen.

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