1. Vorbemerkung

 

Rz. 660

[Autor/Stand] Durch den Gesetzesentwurf zur Änderung der Abgabenordnung[2] soll der systematischen und organisierten Steuerhinterziehung entgegengewirkt werden. Dazu sieht der Entwurf eine Erweiterung des Regelbeispiels der besonders schweren Steuerhinterziehung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Tatbegehung verbunden hat (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO), vor. Aktuell ist das Regelbeispiel auf die Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchssteuern beschränkt. Der Gesetzesentwurf erweitert das Regelbeispiel auf alle Steuerarten. Die Änderung zielt neben einer einheitlichen Behandlung von organisierter Steuerhinterziehung unabhängig von der Tattypologie darauf ab, den Ermittlungsbehörden ohne eine zusätzliche Erweiterung des Straftatenkatalogs in § 100a Abs. 2 StPO die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen im Bereich der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) zu ermöglichen.

 

Rz. 661

[Autor/Stand] Die geplante Öffnung des Regelbeispiels der bandenmäßigen Steuerhinterziehung auf alle Steuerarten überzeugt in ihrer Begründung nicht. Bereits nach aktuellem Recht ist die Telekommunikationsüberwachung bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung gem. § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO neben der bandenmäßigen Begehung unter den Voraussetzungen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO möglich, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sofern der Täter als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden hat, handelt. In der Praxis ist eine vermehrte Anordnung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen zu verzeichnen.

 

Rz. 662

[Autor/Stand] Eine entsprechende Regelung wurde erst Mitte letzten Jahres im Zuge des Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.6.2021[5] eingeführt und gerade mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte begründet.[6] Vor diesem Hintergrund erscheint die Notwendigkeit der beabsichtigten Änderung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO jedenfalls soweit die Begründung explizit auf § 100a StPO abstellt, mehr als zweifelhaft. Zur Begründung verweist der Entwurfsverfasser auf die den Cum-Ex-Geschäften zugrunde liegende hochprofessionelle und konspirative Zusammenarbeit der Tätergruppen und die daraus resultierende erschwerte Aufklärung der Taten.[7]

[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[2] BR-Drucks. 66/22.
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[5] BGBl. I 2021, 2099.
[6] BT-Drucks. 19/27654, 70 f.
[7] BT-Drucks. 638/20.

2. Materielle Anordnungsvoraussetzungen

a) Einführung

 

Rz. 663

[Autor/Stand] Die Steuerhinterziehung ist in gesetzlich bestimmten Konstellationen sog. Anlasstat für Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO. Der Gesetzgeber beschränkt die Möglichkeit der TKÜ de lege lata auf die Regelbeispiele der Steuerhinterziehung in großem Ausmaß unter zusätzlicher Voraussetzung bandenmäßiger Begehung (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) sowie die auf Umsatz- und Verbrauchssteuer gerichtete bandenmäßige Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO). Einschlägige Steuerdelikte sind überdies der gewerbsmäßige, gewaltsame und bandenmäßige Schmuggel nach § 373 AO sowie die Steuerhehlerei im Falle des § 374 Abs. 2 AO.

b) Verdachtsstufe

 

Rz. 664

[Autor/Stand] Der die genannten Taten begründende Verdacht muss weder hinreichend (§ 203 StPO) noch dringend (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) sein. Die Anforderungen sind gleichwohl in dem Sinne erhöht, als dass der einfache Tatverdacht auf bestimmten Umständen beruhen muss, die nach Lebenserfahrung sowie kriminalistischer Erfahrung in erheblichem Maße auf eine Täterschaft oder Teilnahme hindeuten.[3] Reicht für eine Durchsuchung (§ 102 StPO) bereits einfacher Tatverdacht, bedarf es für die TKÜ eine insofern erweiterte, strengere Verdachtsbegründung. Der Verdacht muss sich in gewissem Maße konkretisiert und verdichtet haben.[4]

c) Schwere im Einzelfall

 

Rz. 665

[Autor/Stand] Über den konkreten Verdacht[6] hinaus, stellt der Gesetzgeber in § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO klar, dass die Tat auch im Einzelfall schwer wiegen muss. Derart grundrechtsrelevante Zwangsmaßnahmen können nicht allein mit der Abstraktheit des einschlägigen Normtatbestandes begründet werden, vielmehr muss ihnen besondere Bedeutung im Einzelfall zukommen.[7] Die Bestimmung solcher Schwere des Einzelfalls entzieht sich evident allgemeingültiger Vorgaben, soll aber gleichwohl indiziell bestimmbar sein. Vom BVerfG mehrfach genannt sind hier die Schutzwürdigkeit der verletzten Rechtsgüter[8], der Grad der Bedrohung der Allgemeinheit[9], die Anzahl der Geschädigten[10], die Art der Begehung der Straftat[11] und/oder das Ausmaß des Schadens[12].

 

Rz. 666

[Autor/Stand] Für die Tatbestände der Steuerhinterziehung werden regelmäßig die zwei letztgenannten Indizien bedeutsam sein. Die Art der Begehung fällt bei der Steuerhinterziehung vor allem ins Gewicht, wird diese serienmäßig bega...

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